Essaysammlung
Sarajevo, BiH, 2009.
 Gedruckte Auflage: 80.


Evy Schubert

vorwort
fuer die verschiebung des blickes

die vorliegende essaysammlung ist im august 2009 waehrend eines audio-visuellen rechercheprojektes entstanden, welches den urbanen klang der stadt sarajevo, bosnien und hercegovina, vor seinen gesellschaftspolitischen hintergruenden zu verorten und beschreiben sucht. die ergebnisse wurden in form des dokumentarfilmes ‚vodopad’ verarbeitet.

die essays dokumentieren in diesem kontext den versuch, die stadt sarajevo von innen heraus zu verstehen, um sie eben aus jener tiefe heraus widergeben zu koennen, mit der sie sich doch tatsaechlich hier entfaltet und beschreiben in auszuegen jene erfahrungen, die sich in den zwischenraeumen, in den kleinen momenten vollziehen. durch die beobachtungen, dem lauschen und staunen, entwickelt sich eine erkenntnis, die den klang sarajevos mit seiner akustischen historie zu beschreiben glaubt. jenen klang, der erst artikuliert werden kann, wenn sich die einzelnen noten und instrumente in diesem staedtischen symphonieorchester extrahieren und benennen lassen koennen, wenn ihre erzeugung nachvollziehbar wird, wenn wir verstehen, wo die quelle der alltaeglichen akustik liegt. die politik eines ortes reguliert das dasein an eben diesem. wird folglich der klang einer stadt von seinen gesellschaftlichen und politischen strukturen beeintraechtigt oder resultiert er gar aus ihnen? ist frieden ein geraeusch? laesst sich die geschichtsschreibung eines ortes akustisch vermessen? wie reagieren wir auf die urbanen sounds deren schoepfer und opfer wir doch gleichsam sind? welche bedeutungen schreiben wir dem zu, was wir hoeren und wie weit geht unsere wahrnehmung in ihrer differenzierung, bei dem was doch unwideruflich klangkulisse?
dieser film ist ein pilotprojekt und wird im weiteren ausgangspunkt fuer vergleichbare projekte in anderen nachkriegsstaetten sein, um ein intermediales und wechselseitiges netz aus filmarbeiten, soundinstallationen und wissenschaftlichen texten zu spannen. da diese thematik noch gaenzlich unerforscht ist, soll eben ein kuenstlerischer und wissenschaftlicher zugang, auch diese perspektivenvielfalt, die dieses feld eroeffnet, aufgreifen, bewahren und widerspiegeln.



fuer die zwei, an derer statt, hortensien nun

 


i. prava ljubav

die sonne kriecht ueber die daecher in meine traeume hinein, ich oeffne die augen, die alten fabrikdaecher schon im morgenrot, das zimmer leer, nicht mehr meines, weil dieser tag dem aufbruch dient und der materialismus zur nichtigkeit wird, meine tasche ist mit dem wesentlichen gefuellt, den einstig meinen raum ueberlasse ich fremden menschen und gehe fort, fuer das staunen.

in die sonne hinein auf die buerknerstraße, wo ich kreidezeichnungen hinterlasse, ob sie ihren adressaten finden, werden die regenwolken entscheiden – ich werde es nie erfahren.

propeller auf dem rollfeld.

ein fettfleck an meinem fenster.

das mc drive der schnelllebigen sexualitaet dieser stadt, wo menschen wie schnellimbisse entpackt, verschlungen und ihre huellen achtlos fortgeworfen werden, die scham ueber jene imbisse zu groß; die aldisupermaerkte und laufstege verfluechtigen sich im morgendlichen wolkenfeld, das sich nun vor mir aufgetan hat.

fuer eine andere empfindlichkeit.

ich lausche.

regentropfen wie traenen am fenster, tegel ganz klein, die propeller so laut, als waere ich selbst zu donner geworden, tiefes gruen, silberstreif am horizont, durchbruch in und ueber die wolken, durch das weiße licht des nichts und alles. zum greifen nah. (zum ersten mal verstehe ich diese redewendung.) eben weil es kein ende, keine limitierung gibt, keine referenz. kein vor und zurueck, weil jede richtung gleich ist. der absolute ist-zustand. keine bewegung, keine zeit, keine struktur.

anarchie der kumuluswolken.

das nichts durchbrochen, es hat sich fuer schaeffchenwatte vor azurblau verabschiedet. berlin existiert nicht mehr und es verschwinden jene ablenkenden krankheiten und neurosen, die von mc drive gesponsert werden und den blick auf die welt verklaeren.

ich bin nicht mehr, wo ich eben war, schreibe mich weiter und neu, blicke nicht zurueck, nicht nach vorn, ich bin einfach nur hier.

BH Airlines

zagrebacka 11
ich solle mich wie zuhause fühlen, vor meinem fenster ein baum, der saftiges gruen traegt, kabelleitungen, berge und hochsommerliches blau, tief eine noch schwache mondsichel, nun an jenem ort, den ich die letzten wochen über nur im rahmen einer theorie behandelte, der ploetzlich durch mein hier-sein an tatsaechlichkeit gewonnen hat, der wurde, weil ich ihn erfahre. jene stadt, die ich verließ, jener morgen und jene abschiede, als laegen sie in einer anderen mir fremden, fernen zeit, die hier keine gueltigkeit mehr erfährt.

katzenbabys hinter dem sofa, matcka schlafend auf dem tisch, rauchschwaden, unverschließbare tueren, matcka erwacht, starrt mich an. ich frage mich auch, wer ich bin, dass ich hier sitze.

versuche der organisation. leider wird mir dabei mein deutschtum bewusst, ich bin gebrandmarkt, moechte widerstehen, in panik zu verfallen. karla kolumna, ich brauche meine interviews, brauche geschichten. werden sie sich mit meinen annahmen decken? welche tueren werden sie oeffnen? marionetten der politik. haengt der klang eines territoriums tatsaechlich von dem zugrundeliegenden gesellschafts-politischen vorraussetzungen und regelwerken ab?

wieso sarajevo?

eine suche nach wahrheit, echtheit und menschlichkeit. einem anderen naehrboden fuer das dasein.

erste versuche der bosnischen konversation. die sprache und gedanken, ploetzlich bekommen sie einen realen koerper, eine greifbare realitaet.

im kessel.
bascarsia, die altstadt, wo die berge hinab zu fallen drohen, die gassen so eng und die friedhoefe so nah.

kuehlschrankluft dringt ueber das steile ufer der miljacka zu meinen nackten beinen empor.

die mondsichel nun tief orange ueber der stadt.

laku noc.

drina light zigaretten, kava. Traumloser, fester schlaf, ein geschwollenes gesicht. ‚it is so funny how everybody looks in the morning!’ ich versuche zurueckzulaecheln, aber mein geschwollenes gesicht moechte trotzig bleiben. morgenlicht schleicht sich durch die strohrollos, musik duester, frueher waere ich mit identifizierung in ihr aufgegangen, sie dringt in mich ein, wie eine ungewollte droge, der mich hinzugeben ich nicht verfallen moechte; noch nicht.
wieso ist es nicht moeglich, in einem telefonat einen termin zu vereinbaren? wieso folgen darauf zehn weitere anrufe und der termin findet trotzdem statt?!
kruemmel- oder pferdekaffee, matcko wird gefuettert. ich frage mich, ob ich wirklich hier bin, oder welcher teil von mir das ist. ne razumjem.

sto ovo znaci?
was heisst das?

berge als unueberwindbares massiv toeten den horizont.

alles ist immer nur eine perspektive. in einem weissen wagen, den mohammed mir fuer die naechsten wochen anvertraute, schnellen wir, zu einer der vier kassetten, die ich auf dieser reise mit mir fuehre, zum park vraca in die suedlichen hoehen hinauf. das kriegsdenkmal verfallen, sportlern als hindernessstrecke dienend, ein paaerchen picknickend im abendrot. das erste testshooting, meine nervositaet vermischt sich mit adrenalin, ich denke an bilder, die umsetzung und sehe alles vor mir. jenes dramaturgische puzzle, die parallelen ebenen fuegen sich wieder zu einer einheit zusammen. blicke ins tal, in die stadt hinein und sehe das vor mir, was ich als amphietheater bezeichne: vor mir das abendliche simfonija órkestar sarajevos. unser weg fuehrt weiter hinauf. durch eine ruine filmen wir den sonnenuntergang, die bergkette auf der gegenueberliegenden seite bildet den abnehmer fuer den wiederhall des rhytmus dieser stadt, der sich unten vollzieht. ueber die zerstoerte bob-bahn der olympischen spiele von 1984 gelangen wir zu einer verfallenen sternwarte. ich scanne die umgebung, finde jene bilder, welche die szenen fuer meinen erzaehler bilden sollen.
hat das auto wirklich gebrannt, oder haben wir uns getaeuscht? wir wissen es nicht, fuehlen uns wie in einem horrorfilm, durch die dunkelheit fahren wir in die stadt hinab, sind erleichtert, wie sich der hollywoodsche stadtlichterglanz vor uns auftut. wir vergessen das auto, vergessen die polizeikontrollen.

wieso bin auch ich schnelllebig geworden? ergebnisorientiert. kann ich mich an diesen mir fremden umgang mit zeit gewohnen? „we can do that someday, no problem“ heißt hier, wir machen das, fuer mich heisst das, wann machen wir das wirklich?!

zagrebacka 11
nachts, die bilderbuchberge sind von der dunkelheit verschluckt, wie mein zimmer, in dem es keine lampe gibt. drei kerzen auf einem buch in meinem bett, notizheft, walkman und eine vision.

laku noc – gute nacht.


ii. mir: bosnisch fuer frieden, welt

facettenreichtum und multiperspektive, in dem gewebe eine linie, orientierung.

wo bin ich?

ein erstes interview, frieden, eli tauber, dem vorstand der juedischen gemeinde sarajevos, hinter einem vollen schnurrbart ein gutmuetiges, leicht hoehnisches laecheln, ich vertraue dem gotteshaus und bin dankbar, fast ueberrascht, dass der termin ohne weiteres eingehalten wird und wir tatsaechlich miteinander reden. er fuehrt uns ueber eine wendeltreppe in die synagoge hinauf, die 1902 erbaut worden ist und ueber ein warmes mosaik verfuegt, licht dringt von allen seiten in diesen klaren saal, der eine in sich geschlossene harmonie verbreitet, gleichzeitig aber ueber eine weite und offenheit verfuegt, die mich beruhigt, aufatmen laesst, ich fuehle wie mein koerper sich entkrampft und lache vergnuegt.
bestimmt auch ueber mich selbst.
sie kennen mich nun schon als die gestresste deutsche.
eli vor dem gold-tuerkisen mosaik.
frieden als befreiung der urbanen, humanen und natuerlichen, aller sounds.
stille als angenehm, als ein ‚endlich ohne angst’.
schreiende katzen im krieg.

they feel the fear.

‚see you’ sagte sie zum abschied und ich auch und wusste, sie sieht mich nicht.
ihr blindenstock lag zusammengefaltet auf ihrem schreibtisch, in jenem büro, welches nur ueber kafkaesk gewundene gaenge und treppen zu erreichen war, und doch den anschein einer normalen arbeitswelt barg. ich stieß wieder an meine naivitaet und kurzsichtigkeit. handshake, computer und humor genau so ‚normal’ wie bei sehenden menschen. blindsein ist keine krankheit. vielleicht eine einschraenkung. vielleicht auch nicht. ich hatte nicht damit gerechnet, dass alle mitglieder und mitarbeiter blind sein wuerden, nicht gedacht, wie unkompliziert ihr leben erscheinen wuerde.
wir vereinbarten einen interviewtermin und weitere aufnahmen fuer naechste woche.
das gespräch verlief warmherzig, vertrauenvoll. ich glitt in den stuhl hinein, loeste mich auf und war dankbar. man musste nur den stimmen vertrauen. fast wuenschte ich, auch nicht sehen zu koennen, um ihre wahrnehmung erfahren zu koennen, um letztendlich in jener totalitaet zu fuehlen, die ich proklamiere, wir sind letztendlich sound, sind von sound umgeben, sind ihre opfer, ihre schoepfer.

die eingangshalle der blinden-assoziation „slijepih kantona“ fuehrt in einen aufenthaltsraum. durch die zugezogenen vorhaenge dringt nur wenig des gleissenden sonnenlichtes dieses tages. bosnische kaffeehausatmosphäre. rauchschwaden als fuenftes element, durch meine schritte schnitt ich sie in selbststaendige, schwermuetig tanzende, letharge fragmente. vereinzelte personen, alleine an quadratischen tischen mit karierten deckchen, bier oder kaffee vor ihnen, die gesichter, wie so haeufig in dieser gegend, von rauch zerfurcht. ein fernseher in einer stahlkonstruktion in einer ecke des raumes. ‚dobar dan, gdje amna?’, mir wird der weg gewiesen und fasziniert bin ich fasziniert von dem wahrnehmungsvermoegen der blinden menschen, haette ich es nicht gewusst, ich haette es nicht gemerkt, ihr umgang so natuerlich, selbstverstaendlich und ich finde meinen weg.

wirtschaftswunderkinder wie du

krieg und frieden interessiert die menschen hier ja gar nicht mehr. es geht doch um das jetzt und die zukunft. diese diskrepanz zwischen krieg und frieden, der harten vergangenheit die naehrboden fuer diese neue zuechtung ist, ist einfach nur fuer meine generation aus wohlstandswelten wie meiner heimat von interesse, eben weil wir solche zeiten nicht erfahren haben, weil wir gar nicht nachvollziehen koennen, was es bedeutet in angst und unter taeglicher bedrohung zu leben, eben weil wir, wie meine grosstante sagte, ‚wirtschaftswunderkinder’ sind. unsere kinderstube ist der kapitalismusorientierte individualismus; was anderes haben wir nicht gelernt.
was die menschen hier kritisieren wird fuer mich zum balsam, weil es nicht ablenkt, weil es zeigt wie es ist und weil es die vergangenheit weder leugnet noch beluegt.
unsere krankheiten, aengste und neurosen sind artififizieller, verwoehnter natur; wohlstandskrankheiten.

soviel sozialismus bin ich nicht gewohnt.
wieso fasziniert uns denn der zerfall, die destruktion, das leid und das reale Trauma? weil es echt ist, nachvollziehbar, realistisch, tatsaechlich und existentiell. auf vermarktung von guetern kann man nicht bauen, sie sind bloss huelle, eine nach aussen gestuelpte leere.
hier entstehen jene huellen allmaehlich, langsam, schuechtern und ein bisschen vorsichtig noch und sind die sorgen der intelligenzia. irgendwann werden auch sie dominieren und jene echtheit; fuer die wir nun uebereilt in den osten reisen; verschlucken und gegen mc drive-landschaften austauschen.
wo wir die fassaden noch einreissen muessen, sind hier die fassaden schon zerstoert. das fatale liegt an anderer stelle, nicht an der oberflaeche.
wer hat die macht? welche masken werden hier entstehen?

mache ich eine dokumentation fuer die deutschen oder den westen –wieder dieses problem, sich einordnen zu muessen. ich denke an die worte meiner grosstante, „wirtschaftswunderkinder wie du, die koennen doch gar nicht verstehen, was krieg bedeutet!“
fernsehimperialismus. wo war die hilfe im krieg? und durch die medien, wie ergoetzen wir uns mit ihnen an jener schicksalshaftigkeit…
wieso immer zurueckschauen? sind die menschen hier schon uebersaettigt von unserer ploetzlichen neugier oder einsicht ueber den vergangenen schrecken?
„please, just don’t make another documentary about war!“


iii. if you were a turkish woman

then you would have gone inside to them, you would have sit down with them, would have gotten some coffee and by now you would know everything about the whole family, which uncle is divorced which grandchildren studies abroad and everything… but… you are not turkish. er lacht.

ich habe einen sonnenstich, ganz sicher. eine stunde wartete ich auf mohammed, vor einem haus an einer einsamen landstrasse in den hoehen, vielleicht 30 kilometer von sarajevo entfernt. eigentlich wollte ich nur kurz baden gehen, in den naechsten see springen, bevor ich die umliegenden berge sarajevos fuer filmaufnahmen und die vororte zu erkunden dachte, einen tagesausflug hatte ich nicht geplant.

ich werde nicht mehr nervoes.

der wagen ist wieder liegen geblieben, ich bin allein, weiss nicht, was das problem ist, die sonne gleissend ueber mir, ein schaeferhund muede in dem kleinen fleck schatten des einzigen familienhauses, bis wohin ich den wagen mit letztem schwung leiten konnte, berge, nichts, niemand, eine ruine, irgendwo ein campingwagen, es muessen weit ueber 30 grad sein. die tonaufnahmen und location scoutings fuer den heutigen tag sehe ich nicht mehr realisiert. ich koche und denke nichts, bin froh, dass ich nicht in einer kurve auf dem hang liegen geblieben bin. handkes morawische nacht bei mir, die buchstaben verschwimmen. mohammed kommt nicht. mein handy hat kein guthaben mehr.
er ruft an, endlich.
ich klopfe, molim – bitte?! bitte!!! wieso kann ich die sprache noch nicht? ein aelteres ehepaar betritt die terrasse, der mann kommt mit freiem oberkoeper zu mir herunter, er hat einen oberhemdabdruck, das tiefe rotbraun haengt in fetzen von seinen schultern herab. er erklaert mohammed ueber das telefon wo ich ueberhaupt bin.
ich warte. mit klimaanlage darf man keine berge hochfahren. ich lerne.
wir fahren zurueck nach sarajevo, ich hinter ihm. ich lache, endlich die wenigen kilometer der einzigen bosnischen autobahn, kurz vor sarajevo, adrenalin steigt mir zu kopf, ich muss in diese stadt, will recherchieren, suchen, sie abhoeren, sounddetektiv spielen, sound sammeln, ich ueberhole mohammed, winke ihm zu, lache. sicherlich hat er nun angst um seinen wagen, den er mir so ganz ohne zweifel anvetraut hat. er verschwindet im rueckspiegel. ueber das westliche portal gelange ich in die stadt, puzzle weiter; denke, dokumentarfilm, man ist zur permanenten offenheit gezwungen, wie sonst kann man die realitaet abbilden, die sich mit jeder minute weiterschreibt?

just only step on hard ground, maybe there are mines. who knows, ah, never mind

kartographie des akustischen reliefs, ich beginne meine tonaufsammlungen in den stadtplan einzuzeichnen, fuege die uhrzeiten hinzu, sehe die geographie als notenblatt vor mir, die bergspitzen als klare hohe toene, die altstadt im engen tal als bassiges orchester verstimmter instrumente…


iv. if you are too nice to people, they think you are crazy

im april vielleicht, ich hatte einen traum, seine handlung war in der nacht geschrieben, war ein filmstreifen im projektor, auf dem ich spazieren ging, gleichzeitig war ich selbst, mein alter ego auch, was von oben hinab oder von neben an, hinein schaute. eine strasse im krieg, wo granaten flogen, schutz hinter autowracks, rechts der friedhof, der noch entstehen wuerde und jetzt ist; personen durchquerten jene szenerie, personen die ich schon kannte oder noch kennenlernen sollte, der traum schrieb sich weiter, die filmspule rollte, manchmal war ich auch die lampe im projektor. ich vergass jenen traum, den ich hier nicht zu ende erzaehlen werde, und erinnerte ihn erst bei meiner ankunft, bereute kurz, dass ich seine niederschrift nicht mit mir fuehre, und dachte, irgendwann werde ich diesen ort aufsuchen und sehen, ob dieser mir die fortschreibung der geschichte verraten oder ob mir der rueckblick in meine naechtlichen kinoszenarien etwas zeigen moechte.
wieder vergass ich ihn, und ploetzlich, vergange nacht, fand ich mich auf jener strasse, dem handlungsort und sah den friedhof, der erst vor wenigen jahren entstanden, die muslimischen grabsteine wie spitze vampirzaehne in die hoehen gewachsen waren, auch, wie im traum vorher – oder in vorherigen reisen- gesehen, zu meiner rechten. ich dachte nichts, fuehlte nichts. ich ging weiter durch die nacht. ich glaube nicht an bestimmung und doch werde ich immer wieder ueberrascht, als wolle sich die gottheit des lebens mir aufzwingen, mich bekehren, dass ich goettliche geschenke empfange und engelswesen trage. gott und ich, wir fuehren einen amuesanten krieg, ich rationalisiere.

und auch wieder nicht, ich ziehe schluesse ‚you are just connecting that now’. -vorherbestimmung existiert also nicht, sagt er.

gibt es antimuslimische vampire? war dracula nur antichrist?

wieder erwache ich frueh aus meinen traeumen, die derzeit so sehr mit der realitaet verschwimmen, dass mir die differenzierung schwerfaellt, was habe ich gedacht, gesagt oder wirklich getan? im nebenzimmer techno, wie kann man sonntag morgens um 9 uhr besuch empfangen? ich stehe auf, eso/ denni oder dennis (alle scheinen nicht nur einen, sondern eine vielzahl von namen zu haben) bei kaffee im wohnzimmer, matcka, rauch, die hitze zwischen uns, sie ist nicht mehr neustes, sondern das einzige element, der franzoesische dokumentarfilmer holt mich ab, im radio die hits unserer kindheit, new kids on the block, meine mutter erlaubte mir damals nicht, zu dem konzert zu gehen, weil ich im vorjahr bei david hasselhoff von der menge verschluckt worden war, ace of base, wir passieren die vom iran gesponsorte moschee mit ihren zwei minaretten, die wie abschussraketen aus den vororten sarajvos emporragen und dem tradionellen bosnischem bau mit nur einem kurzen, schuechtern-anmutigem turm, seltsam kraftvoll gegenueberstehn, die orthodoxe kirche und wir erreichen den sonntaeglichen zigeunerflohmarkt hinter novo sarajevo.

zagrebacka 11, ist es eine oase? liegt diese straße im einzigen stadtteil sarajevos, wo man weder muezzin noch kirchenglocken hoert? jene toene und klaenge, die doch jeder mit dieser stadt in verbindung zu bringen scheint. ich lausche, aber es will nicht kommen. als waere die omnipraesenz der religionen hier bloss illusion.

bedeuten tote tauben etwas? gestern fiel eine vom himmel, heute ist es die dritte, zerhackt auf dem boden, wie ich zu dem kleinen gruenstreifen an der miljacka laufe.

it’s good that you are so persistant with your work. thank you for this interesting conversation. sagte haris pasovic zu mir nach dem das interview beendet war. eingangs suchte er mir zu erklaeren, wie man einen dokumentarfilm zu drehen habe, ich wiedersetzte mich seinen anweisungen, er spielte dozent-student, wir fuehrten das gespraech, im anschluss revidierte er. ich bin nicht mehr und doch immer wieder ueberrascht.

auf dem weg zur eastwest theatre company, bran – urspruenglich mein kameramann- an meiner seite, im gehabten chaos, der morgen hektik, das auto brauchte ein neues nummernschild, mohammed und ich treffen uns nun taeglich. i really don’t have time for that now! – who are you interviewing now? you should not be stressed, you need to be relaxed for that! ja, aber ich moechte nicht jeden morgen in der werkstatt verbringen, kann schon nicht mehr denken, techno, autopapiere, katzenhaare in meinen kontaktlinsen, don’t worry ah never mind, ich kann nicht mehr. ich verlor meine geduld, dachte, dann schreibe ich nun einfach ein buch und drehe einen soundfilm ueber das virtuose stadtorchester. pasovic geht nicht ans telefon, wir sollten uns heute treffen, wie gewinne ich ihn? was kann ich noch machen? und wie so oft in diesen tagen wurde ich doch ueberrascht. pasovic erzaehlte, sprach von den bergen und dem tal, gab vielen meiner vorherigen theoretischen annahmen, die mich veranlassten, dieses projekt zu realisieren, eine eigene form, fuehrte sie aus, bereicherte sie um perspektiven (ich koennte sehr zufrieden sein, aber mir scheint das zu leicht – rueckblickend sind mir seine aussagen zu leer, zu naheliegend), ich hinterfrage, er bereicherte mit weiteren details. und doch, ich war von der deckung entzueckt, vertraute wieder, dass die akustische geschichtsschreibung einer stadt ein thema ist.

you know, i am afraid, i want to make good job, but you are so strict! immer habe ich angst, dass er meine anweisungen, mein erkenntnisinteresse; denn fuer mich ist es dies: eine audiovisuelle (er-) forschung, nicht versteht oder missversteht. ich vertraue nicht mehr, zeige dies, weil ich nicht luegen kann, bin unzufrieden mit den bildern, bemuehe mich zu vermitteln, kann nicht denken, never mind, it will get better. dieses projekt ist mein kind geworden, moechte, dass es in sicheren schuhen das gehen erlernt und seinen schoepfern vertraut.

ich muss umziehen.
ich habe keine ansprueche. komfort interessiert mich nicht. nicht hier. der einzige luxus, den ich suche, ist stille. „matcka“; ich fuehle mich nicht mehr angesprochen, wie am ersten tag. wir sind ja beide eine invasion im leben des anderen, kennen uns ja nicht.

yugo aerobic

unweit des flughafens, in staub und schweiss gebadet, schmutzig wie kinder im spiel, wir nun wieder im gruenen golf eins, haben tapes fuer unsere autos auf dem zigeunermarkt gekauft. musik der 80 er, dazu eine frauenstimme. jedan, dva, tri, cetri, pet, ich lerne zahlen und koerperteile. wir rasen die weststrasse in die stadt hinein, durch das, was den fremden zunaechst als ghetto erscheinen moechte, und fuehren die gymnastikanweisungen der kassette im sitzen aus, ganz gluecklich und entzueckt ueber den kauf.

„there are no gays in sarajevo“

sich positionieren müssen. wie geht man mit etwas um, das so selbstverstaendlich ist, und doch nicht ueber selbstverstaendlichkeit verfuegt? wie erklaert man? wieso muss man erklaeren?

religion. ich beanspruche sie nicht. aber kann man heutzutage ohne meinung zu ihr leben? wo hoert die saekularisierung auf?

wieso mache ich das ueberhaupt alles allein? wie naiv war ich, glauben zu koennen, dass ich dies alleine bewaeltigen, ein solches vorhaben alleine realisieren kann? ich bin abhaengig, total, und habe niemanden, an den ich diese abhaengigkeit richten kann. ich kennen niemanden. an meine vision, vielleicht?!
frueher bezichtigte mein onkel mich meiner unglaeubigkeit. er sagte, „aber, hast du denn wenigstens eine vision? …du musst doch eine vision haben!“ ich sagte nichts, wusste nichts. vielleicht war ich 16 jahre alt. ich suchte, lange zeit. ich probierte, lange zeit. ich glaubte, liebte. vielleicht.

und ploetzlich, man hat es nicht gemerkt, ist man erwachsen geworden.
beschreitet jenen weg, den man immer suchte und doch nicht fand. wo ist oder war die kreuzung? ich sehe sie nicht mehr. der weg kennt nur noch ein vorwaerts. ich wiederlege robert frost; ‚the road not taken’ gibt es nicht.

MATCKA – er schreit, katzenbabys auf dem sofa, besuch aus deutschland, hardrock, volle lautstaerke, rauchschwaden, konzentration wird zur meditationsuebung. ich beschwere mich nicht. bin immer noch dankbar. und trotzdem; meine taegliche ration stoizismus.

turbofolk

modern adaptierte sevdahmusik. man tanzt.

alle haben einen hektischen blick. sind rastlos, von einem zum naechsten, man haelt nicht still, bleibt nicht lange. sie bekommen alles mit, augen voll reife und wissen, unverklaertheit. kopf und koerper springen durch das sein. keine konstanz, unruhe im blick.
war das hier immer so? sind es die folgen?

ihre augen funkeln, ploetzlich sehe ich andere gesichter, andere menschen, fuer sekunden habe ich sie entrissen, und weiss, dass hier eine unglaubliche kraft entstanden ist, dieses strahlen, jene liebe erzeugt zu haben, die nicht selbstverstaendlich ist. fuer wenige sekunden wertschaetzung. und ich weiss, das leben hat mir gerade ein geschenk gemacht.

ich habe musik aus deutschland mitgebracht. soundcollagen, nischenmusik, experimentelle, harmonische kompositionen. sie nehmen diese cds, die mir als sponsorengeschenk fuer diesen aufenthalt galten, und legen sie in den cd-player wie in einen heiligen schrein. ihre augen leuchten. sie hassen turbofolk, sie gleiten in ihre sessel, wir reden nicht mehr, wir lauschen. dazu in der hitze der nacht, der letzte muezzin, hunde, das musikfest in der altstadt ‚your brother…’ betonung langsam, andaechtig, wie im gebet. ich denke auch, mein bruder…. ja.


v. panorama grada

es gibt gar kein friedensgeraeusch.

es gibt nur nachkriegsgeraeusch.

das haemmern und bohren, droehnen der maschinen, ueberall im tal hoerbare punkte des aufbaues, verschmelzen hier auf der kante der nordostberge mit dem schreien der kraehen, dem wind, den morgenvoegeln. hier oben auf der bergkette, die ich tauschboerse der sounds nenne, der trennungslinie zwischen natur, ewigkeit, himmel, frieden und der stadt. hier, wo einst, auf den hohen umliegenden strassen die angreifer warteten, von wo aus sie die menschen und haeuser in der stadt in beschuss nahmen, zielten, hier, wo ich jetzt zwischen muslimischen graebern sitze, hier im panorama grada.

fuenf uhr morgens, der mond scheint nun fuer die andere halbkugel, mein deutscher besuch und ich verlassen mit dem neuen, schwarzen mafiaauto -you know, i just bought it for you because you want cheap car. i hate art, but i always help artists.- die stadt ueber die weststrasse, die aufsteigende sonne in unserem ruecken ueber den ostbergen. wir halten, wenden, filmen die einfahrt in die stadt, in die aufgehende sonne hinein, halten in bascarsija. kava. ich fahre mit ziel und ohne weg, in die hoehen hinauf, wir umkreisen die stadt, filmen entlang der beschusslinie, vereinen uns mit der natur, dem frieden, der ruhe, der unschuld des morgens. wir wollen nicht zurueck, zoegern den moment hinaus, bis die sonne zu brennen beginnt, wir filmen, die abfahrt, in die zivilisation, den erwachten morgen, arbeiter auf den strassen nun, die ersten touristen und der markt ein lautes tauschtheater, ich verfahre mich, weil es ueberall nur einbahnstrassen gibt, wir hoeren die kassetten vom zigeunermarkt, yugo-80er. zagrebacka II, matcka, er schlaeft noch, der tag schon alt und doch noch ein kind, der himmel zieht sich zu, kava, fever ray, ich nehme die droge an, werde eins mit dem sessel und den strohrolos, werde nico, habe keine ansprueche, ich bin, wir sind. ich vertraue.


vi. in raum und zeit, sich zu verlieren

ich erwarte nichts.
von niemandem.

meine fuesse schwarz, als haette ich lepra, ein tag in oder ohne sandalen. in staub, regen bloss als eine verschwommene erinnerung vergangener zeiten. ich zwinge niemanden mit mir zu reden. es soll freude bereiten.

das schoene wesen dieser menschen immer im verborgenen. daher bleibt ueberraschtes staunen als kontinuierlicher wahrnehmungsmodus. man mag glauben, sie hoeren nicht zu, weil sie einen nicht ansehen.
vielleicht aber, haben sie laengst viel mehr verstanden.

schaut man sich die ruinen an, die von wilden, ueppigen gruen bevoelkert werden, ja, da kann man ermessen, wie hoch ein baum in 14 jahren zu wachsen vermag. die natur anspruchslos und anpassungsfaehig. vielleicht aber auch, hat sie alle macht.

es geht um wahrnehmung, nicht um position

es hat den ganzen tag geregnet. meine augen schmerzten vor schlaflosigkeit, als ich sie oeffnete, um aus dem fenster ueber die stadt, auf den orthodoxen kuppelbau und die verhangenen berge zu schauen. ich bin umgezogen, pflaumen- und apfelbaeume im garten vor meinem fenster nun, spielzeug von sara, die mich fifi getauft hat, aber ich laechle nicht. ich konnte mich nicht an die existenz von regen erinnern, die luft kuehl ueber meinem kopf, faehrt mir durchs haar, streichelt mich, ich erhebe mich, langsam, denke kava und bekomme eine kurzmitteilung auf mein bosnisches handy. vielleicht acht uhr morgens. artists have to go out, drink and discuss all night and have to sleep long, you should not get up bevor 10, mohammed wird sogar zu meinem ersten gedanken am tag. amna hat mir geschrieben, ich bin verdutzt, sie ist blind und verschriftlicht meinen gedanken, das interview und die aufnahme des spazierganges zu verschieben. ich rufe sie an, obwohl ich nicht mehr bezweifle, dass sie eine kurzmitteilung auch lesen koennte. sie hat eine magische energie.

i don’t like to walk outside in the rain, it is hard for me to hear where i go.

wir verschieben unser vorhaben auf den naechsten tag, weil die wolken nun monsun spielen und blitze tanzen lassen wollen. pray to god, that we will have good weather tomorrow. ich fasse an den schuetzenden rauchtopas, der mir seit jahren um den hals haengt, laechle ein bisschen, weil er mich an eine ruhe und weisheit erinnert, die verstorben ist und uebertragen werden wollte. ‚das ist, was man tradition nennt.’ ich denke an jenes laecheln, und weiss dass sie engel in mir leben laesst, hoere ihre warme stimme der entzueckung und echten freude, die mir schutzschild in dieser welt geworden waren.

kraehen kreuzen das panorama, sie schreien, wie in den fruehen morgenstunden bevor der muezzin zum ersten mal ruft, sie fliegen mit kraft, anmut und bestimmung aus meinem blick heraus, lassen das christenkreuz auf jenem kuppelbau hinter sich zurueck. die biblische religion erscheint mir dunkel und schwer, anziehend tragisch, ich spuere die kaelte der großen dunklen kirchenschiffe, ziehe mir die kaputze ueber den kopf, sehe mich wie ich in der dunkeltheit in den fruehen morgenstunden vor dem unterricht ueber die huegel zum gebet laufen muss, nichts und alles in der ferne, vielleicht ananasplantagen und der letzte morgenstern, thy kingdom come, thy will be done on earth as it is in heaven. das klavier begleitet und findet doch nicht alle toene, ich wurde gezwungen, wo man bei uns schon die existentialisten las. und sehne mich nun nach dem besuch eines gottesdienstes, den ich seither verweigerte. wir umarmen uns, peace be with you. ich glaube an die energie des zwischenmenschlichen. die stadt wird klein zwischen den wolken, trist, abgeschnitten, der horizont unmittelbar. an solch einem tag moechte ich keine filmaufnahmen machen, ich moechte keinen mitleid erzeugen, es wuerde falsch transportiert. ich moechte nicht jene depression zeigen, die ihr sehen wollt oder vielleicht erwartet, werde nicht die nachkriegstraurigkeit darstellen, entrfremdet waere es doch.

mich schockiert nichts mehr. zu viele tode habe auch ich kuerzlich gesehen.

ohrenzeugen

bascarsija, ich gehe durch die engen gassen, der klang fluechtig, direkt, er bleibt nur kurz, es gibt keinen nachhall, ein spaziergang durch blasen bunter artikulation, die klaenge und gerausche prallen direkt an den kleinen haendlerhaeusern ab, um zu meinen wandelnden ohren zu dringen und verbieten mit ihrer aufdringlichkeit und totalitaet das ganze zu hoeren.

dreiklaenge der stadt

ueber stari grad, auf den huegeln der ostseite der stadt, abenddunkel und wir stehen auf der ballustrade des gigantischen amphitheaters, der blick gen westen, in die schaubuehne hinein, die oeffnung, in der die sonne verschwand. der 22uhr muezzin beginnt unweit hinter uns zu rufen und zu singen, das simfonija órkestar entwickelt sich, als haetten wir bestellt, gesetzt, was wir nun erfahren, wir staunen, und die muezzinrufe pilgern weiter durch die akustische geographie, springen ueber die huegel, jemand spielt marionettentheater und der klang waechst wie lustiges unkraut aus der erleuchteten stadt, irgendwo sevdah, bellende hunde fallen mit ein, die raeder der tram wieder quietschend in der kurve bevor sie nach bascarsija abbiegen um zurueck nach novo sarajevo zu fahren, vor und hinter uns die graeber, 1995 –sind die friedhoefe hier nach jahreszahlen geordnet? auf der gegenueberliegenden seite der stadt am grabeshang, ueberwiegend 1994- die muezzine, tragisch anmutend, wehmuetig, ich bin im rausch, kann ihm nicht entgehen, dazwischen ganz schuechtern und bestaendig ein glockenschlag, die miljacka nur hier oben oder direkt bei ihr zu hoeren. hier findet der klang entfaltung, bleibt mit nachhall, bleibt verort- und differenzierbar, kraehen erkaempfen schreiend den naechtlichen himmel nun, ich fliege, ueber diese blitzenden vampirzaehne, die so rein und unschuldig aus dem hang in die himmelsweite springen, ich fliege, weil mich die geraeuschkullisse emporreisst, es ist die totale komposition, alle fallen mit ein, wissen es vielleicht nicht, kino, ich blicke in den lichterglanz und sehe die bilder die ich hoere. meinem gespraechspartner hinterlasse ich eine kommunizierende huelle, waehrend mein koerper schon ueber dem tal schwebt, ueber das rathaus hinweg, das als verkleidung ein baugewand traegt, ich fliege, hinter mir der geschlossene bogen des amphitheaters, meine startrampe, die einst beschusslinie, heute trauer, mahnmal und natur zugleich, die grillen zirpen, wo seid ihr meine kleinen eingesperrrt, dass ich euren liebenden klang vernehmen, dass euer ton einen abnehmer finden kann?

ich schreibe ja an euch

mein koerper und ich schweben, ich gluehe, ueber der stadt, bin erfuellt, bin frei, und stehe doch hier an dieser ballustrade, die in hoehe einer ballettstange und tanze zu dieser komposition die von allen gemacht. ich lache, empfinde so herzlich in mir, dass mein koerper zu klein scheint, aber er fliegt ja da vorne, und ich lache in mir so laut, wie vergange nacht, in der ich von meinem eigenen gelaechter erwachte.

you know, john lennon said; life is what happens when you make other plans.

es regnet wie am vortag in einer einnehmenden bestaendigkeit, kein anderer zustand bleibt mehr denkbar, der regen verschluckt den klang der stadt, hier vor meinem fenster ueber dem garten, in den von rechts oben aus einem mietshaus eine alte frau mit kopftuch hinabschaut und fensterkino spielt. wir verschieben den drehtag erneut, ich gewinne und verliere zeit.


vii. hvala, ljiepo

miljacka, du riechst ja nach salz, gehe ich an deiner seite, bin ich am meer.

ne, nesam lud. nein, ich bin nicht verrueckt. besuch aus deutschland, dankbar bin ich, wie er sagt, der fluss riecht so salzig wie das adriatische meer und dankbar auch, weil das leben hier keinen alltag kennt, sondern aus den kleinen absurditaeten, aus details, aus liebe, tragik und der kontinuierlichen neugestaltung besteht. vielleicht aus der abhaengigkeit heraus, sich immer wieder anpassen zu muessen, aber sicher bin ich, uns wurde es verlernt, spontan zu erkennen und zu entscheiden, zu leben, wie wir fuehlen.

advokat – ein relikt

fallobst als mosaik im tief saftigem gruen, auf dem kleinen hain wo apfelbaeume mit den sternen verschmilzen, leuchten wie sterntaler, da, wo wuermer vielleicht schon ihr zuhause gefunden haben, vor meinem fenster, da auf der grenze von stadt und natuerlicher stille, da wo bloß 300 schritt ins leben hinab und 300 weitere hinauf, in ein idyll, welches als kullisse fuer heimatfilme missbraucht werden moechte.

die stadt erhaelt im moment des erklingens des muezzins und den kirchenglocken ihre totale komposition, eben weil es fuer die anderen geraeusche einen rahmen schafft, weil das, was sonst stoergeraeusch waere, ploetzlich eingebettet wird, halt bekommt, anfang und ende, vielleicht auch bestimmung und so im ganzen sich ein rhythmus entfaltet, der einmalig bleibt. ich kenne keine geographie, keinen anderen ort, an dem sich ein solches klangspektakel aufzutun vermag, in den bergen vor mir das ganze, einheitliche, unten in der masse, allein und kurzlebig, ein spiegel, und von oben, kann man die ganze geschichte nachvollziehen, eine perspektive gewinnen.

der mond tief ueber der steilen gasse vor meinem haus, wo treppen zur kathedrale fuehren.

ich lausche, das stereomikrophon auf dem fenstersims, glockenschlag zu mittag, voegel gleiten ueber die obstbaeume, zwitschern mir ein laecheln, wo das fallobst noch immer sein mosaik erweitert, motorenlaerm, haemmern, bauschutt. ich hoere konstruktion und bestaendigkeit, das haemmern – mein herzschlag, mein puls, mein ich. der klang findet seine strukturierung durch die arbeitszeiten und religioesen rituale, wo er sich sonst verlieren wuerde, wird er zum rhythmus, wo er sonst alleine auftaucht, um zu erlischen. der nachhall der kirchglocken, wie der langgezogene ruf des ezan, feinfuehlig springen jene klaenge zu mir ins fenster hinein, wo ich geduldig in der stillen abgeschiedenheit warte, um sie zu vernehmen. ich lerne die entfernung zu den klangquellen einzuschaetzen.

die alten, ja die bestaendigen, tradierten klaenge, sie haben die macht des nachhalls, sie sind das echo unserer zeit. moderne klaenge vermoegen dies nicht, weil sie wie wir und von uns erzeugt, kurzlebig sind.

den abend am amphitheater, ich rannte durch die altstadt, ueber den fluss, die steilen gassen hinauf, viele meter, konnte nicht pausieren, wusste nur, ich muss das jetzt hoeren, meinen koerper gab es nicht, es gab nur den wunsch und das adrenalin, nun hier wo die zikaden wohnen, um mit der stadt zu verschmelzen und ezan seinen ewigen ruf in die tiefe und ebene wagt, dort, wo ich mit ihm dem hoerspiel lauschte, er, der kam, um zu erkennen und wir zu finden, was uns verband. im klange der zeit, die unsere, die seine, die meine und die aller, und so geht jeder weiter, doch, seinen eigenen weg, allein. ich hinab in diese stadt den meinen, mit tiefer dankbarkeit.

deinen besitz, den kannst du jederzeit verlieren, aber deine erfahrungen, die kann dir niemand nehmen.
sagte ein anderer, vor langer zeit und noch heute lebe ich dafuer.

wolken am himmel und sie bewegen sich nicht.

sie sind einfach da.
aus dem nichts geboren.
sie sind ploetzlich weg.
man kann sie nicht verfolgen. es gibt keinen wind, keine richtung. sie haben andere regeln und wege, als waeren sie ohne ziel.

er ist hier, und taucht aus dem himmel auf, weit ueber der stadt, in dem was realitaet und symbol, metapher und ewigkeit ist.

auf der zerschossenen sternwarte, von einer wendeltreppe in die welt hinein, die hier sarajevo ist, wo er ein stueck dickes glas findet, ein ueberbleibsel des teleskops, ein prisma in unseren haenden in die sonne, im glanz und funkeln, wir wissen, wir halten ein stueck geschichte in der hand. auf jenem berg, wo zu fuessen der warte die bobbahn der olympischen spiele von 1984 endet, hier wo krieg und frieden historisch visualisiert sind, wo ihre symbole leben, die zeit und generation ueberdauern.

my grandmother was the first women with a driving license in sarajevo

eine schwarze katze springt in mein fenster, waehrend ueber mir die kokainparty stattfindet, unter mir die stadt sich laengst schlafen gelegt und der volle mond untergehen moechte. ich bin, und doch nur leicht, ueberrascht, von diesem naechtlichen besuch, weiss nicht, was denken, ausser wie bekomme ich sie raus und sie ihre freiheit?! ich entlasse sie ins treppenhaus, lege mich erneut ins bett und wahrlich, eine getigerte freundin springt nun ueber den fenstersims neben meinen kopf. kreisverkehr in meiner wohnung.

ueber den garten, mein bett, in die nacht und zu mir zurueck.

zwei monde nun, der eine die leichte spiegelung im doppelglas des nun geschlossenen fensters ueber der stadt.

im unterirdischen kaufhauskarrée von skenderija, jenem betonklotz, der die erscheinung eines bunkers traegt und verlassen wirkt, mit seinen frizerski salons, nagelstudios und boutiquen. in diesen verrauchten gaengen, unter der konzerthalle, in einem versteckten winkel, eine galerie, wo meine stimme wartet. ich bin teil einer soundinstallation, die besucher werden einzeln hineingebeten und warten vorab an der bar, ja und als waere es abgesprochen, ihre stimmen und gelaechter, sie folgen einem wellenfoermigen verlauf, berge und taeler der artikulation, ein tonrelief im relief der stadt, als wuerden sie gemeinsam beschliessen, um fuer den bruchteil einer sekunde die musik zu hoeren –you see, we are playing the music you brought from berlin – um dann wieder gemeinsam ins frivole crescendo zu steigen.

vielleicht ist das zu absurd, wenn du einfach so aus dem himmel auftauchst.
aber vielleicht ist das nicht schlimm, weil krieg auch absurd ist.

pun, molim.

die autoreifen werden mir nun aufgepumpt. ich staune, ein wenig mulmig, fuehle mich nicht in der position bedient zu werden. der tankwart nimmt sich meines autos an, und ich weiss, auch wenn ich fuer mich prinzessin spiele, hier spiele ich einfach mit.

das tut fast weh dieses lied.

die kassette ist mit ‚bruce lee’ betitelt. eine verstaubte zusammenstellung vom zigeunermarkt, welche die vergangenen 40 jahre abzudecken weiss. ein bosnisches gitarrenlied, so unueblich, anders als die lieder dieser stadt, so echt und rein, dass ich seine klaenge kaum ertragen kann

– und muss es doch immer wieder hoeren.

du bist ja noch ein kind, dachte ich, wie mein blick sich vom bett erhob, um aus dem fenster zu klettern, wo die morgenkraehen durch das mosaik stolzieren. ihrer war schon der tag, in der rechnung der menschen, vielleicht der gleiche, aber noch nicht begonnen, noch ein unbeholfenes kleinkind. ich stehe auf, ueber mir noch immer tanz, der mond hat mit der sonne getauscht. der himmel ist aufgeklaert, szenische wolken wie am vortag, die den anschluss garantieren, kurz nach sonnenaufgang, ein sonntagmorgen, mit dem kamerarucksack sehe ich aus wie ein schulkind, wir treffen uns in bascarscija am alten brunnen, um die ankunft des erzaehlers in der stadt zu filmen. die kraehe nun im apfelbaum, sie schreit und ich weiss, er ueber mir wird nun keinen schlaf mehr finden, die kraehen wecken ihn jeden morgen. jeden morgen schenkt er ihnen erneut gehoer; so nun auch ich.

das órkestar hat laengst begonnen. vor meiner heutigen zeit. wir sind spaet dran und koennen doch nicht anders. ich hoere, es zieht mich an, fast stolpere ich ueber den fenstersims, seine magie ist zu stark, ich falle. in den garten, wie die pflaumen, rolle die gasse hinab auf die titostrasse, wo noch wenig autos verkehren, vielleicht eine tram, und bin beim brunnen. ‚if you drink from that water you will always come back to sarajevo’.

ich habe durst.

das eine café auf dem taubenplatz schon geoefnet, upuljac molim, wo ich warte, wo die kellner mich noch aus dem winter kennen, nun schon ueber den platz gruessen und ich die preise der stadtbewohner zahle, hier erneute glockenschlaege. er kommt nicht, er ist nie unpuenktlich, er ist absolut zuverlaessig, er ist ein geschenk fuer meinen film und ich weiss, dass das nicht selbstverstaendlich ist. die gleichen gesichter alter maenner, sie haben ihre feste sitzordnung, nur einer von ihnen immer mit zeitung; wie im winter und ich sehe sie auch sonst in den gassen, wie sie in die moschee zum gebet gehen, oder ihre spazierstoecke klappernd ueber den platz am brunnen entlang und durch die gurrende masse von tauben fuehren. und der eine, der traegt immer einen kleinen klappstuhl mit sich und pausiert in den gassen und raucht dabei ganz viele zigaretten. und sicherlich beobachtet auch er, ganz so wie auch ich beobachte.

so frueh morgens bekommt man im café noch keinen zuckergelée zum kaffee, das so herrlich an den zaehnen kleben bleibt, und von pinker farbe ist. ein wuerfel, der kinder entzuecken wuerde, mit puderzucker dekoriert.

in den bergen ueber novo sarajevo hoert man die stadt nicht. als gaebe es nur ein rauschen, das ueberall und jederzeit sein koennte. undifferenziert wie da unten, werden die klaenge des menschlichen netz der begegnungen von den hochhausschluchten und plattenbauten verschluckt. sie haben hier keinen widerhall, keinen ausdruck, ihre geschichte will nicht vermittelt werden.

wir fahren in die berge hinauf, wieder kurz nach sonnenaufgang, durch die schmalen, steilen strassen, wo menschen in kurven hintereinander an der bushaltestelle stehen, um zur arbeit zu fahren. die buergersteige sind so eng oder nicht vorhanden, dass sie erst durch die praesenz der wartenden erzeugt werden. eine kuriose, morgendlich wartende kurve.

bei der militaerruine, vor sandstein, ein ausblick wie in kairo, das tal das meer, die sonne gleissend wie zuvor. er wandert die beschusslinie entlang in die stadt hinab, waehrend die anderen assen, aber sie, ja sie hatte eine fliegenklatsche in der hand, am familiengedeck, wo hinter ihr der hang hinab fiel um hier oben ein panorama zu schenken, dass von deutschprechenden wirten beheimatet wird. ihr deutsch ist so praezise und korrekt, mein bosnisch wird nicht akzeptiert, das laecheln ein wenig skuril, und ich stelle mir vor, in einem deutschen nazidorf gefangen zu sein. ich moechte auch eine fliegenklatsche haben, um mich zu verteidigen.
wir fahren weiter.

und sie spielen da unten, im immergruenen tal auf einer schaukel auf einem betonplatz, an der miljacka auf der rueckseite sarajevos, wo sonst nur gruen und kein zeichen von zivilisation, diese betonflaeche im nichts. inmitten eine schaukel. ich lache. als wuerde alles einem spontanen gedanken entspringen. kein hotel, keine wohnhaeuser, keine menschen, die dieses idyll nutzen, aber ein quadratischer betoneinlass am ursprung fuer zwei kinder, die schaukeln wollen.

es ist doch alles ein wenig absurd.

wir drehen auf dem friedhof, den abspann vielleicht und er verschwindet durch die graeber ins hohe gruen. you can’t film here! – pssht! ich moechte nicht zulassen, dass dieser moment unterbrochen wird, mache handzeichen, halte den finger vor den mund und erkenne erst jetzt, dass ich von fuenf bewaffneten soldaten umgeben bin. again you?! – pshht! ich hoffe auf die wirkung von charme, versuche zu laecheln, versuche zu vergessen, wie schmutzig, klebrig und staubig ich mittlerweile bin. ich laechle bittend.

ueberall schwarze katzen, elegant und zierlich, auf den daechern, tollend zwischen schornsteinen und ofenrohren, als schatten springen sie ueber schatten, sie laecheln, sie tanzen – bist du es meister?
aber bulgakov, ich flieg doch schon.

wusstest du, dass du mich in der kathedrale finden wuerdest? 

wir waren bei einem gottesdienst. wie gesagt, ich glaube weder an bestimmung noch an zufall, sondern an energie, und pleotzlich fanden wir uns beim abendmahl in der roten kirche auf dem anderen ufer, sie assen die oblaten, tranken den wein und gingen. sie bliess die kerzen aus, er ging ab ohne applaus, er tut es fuer sie, ganz uneigennuetzig, und sie, sie blieb, die aelteste, mit ihrem schoenen buckel, knieend, da in der letzten reihe. die lautsprecher werden ausgeschaltet, die lichter gekappt, dunkelheit in der abenddaemmerung durch kirchenglas nun, fuer einen moment glaube ich, dass stille tatsaechlich existiert, dass es einen ort, diesen moment hat, bis ich das rauschen meines koerpers hoere und wir zu der flussbiegung hinter der stadt schlendern, wo einsame angler auf ihren fang warten und die karstberge emporschnellen. die stadt funktioniert nur, wenn man ihr regelmaessig entkommt, wenn man ihre perspektiven nutzt, die allein durch die geographie entstehen.

das war ein auerhahn.

captain spok kam in meine traeume. durch die transparente betonmauer sah ich, wie er im nachbarhof erschien, waehrend wir von hier aus tote waschbaeren, ‚da gibt es doch genug davon’, ueber diese mauer warfen. wir hatten eine mission, es sollte uns das leben retten, so warfen wir, bis er kam und durch die wand glitt, um uns zu holen, seine haende krallen mit lockenden bewegungen. im betonhof, wo es kein entkommen. ich erwache.

gassi

heute morgen, da ging ich mit meinem muell spazieren.
ich suchte jene großen, staehlernen container, konnte weder sie finden, noch jemanden in den strassen antreffen, den ich haette fragen koennen. ich begann zu traeumen, vergass mein vorhaben, fuehrte den muell durch die morgensonne.

you think too much, i can feel that.

die sonne will weiter scheinen, erlaubt mir ein portrait der stadt zu zeichnen, dass nicht im tristen ruinengrau versinkt. ich eile durch bascarsija, ueberquere den fluss, erreiche podgaj 7, slijepih kantona, wo amna auf mich wartet, wir koennen nun endlich unser interview fuehren, wir plaudern, rauchen, lachen. i don’t want that my mother sees me smoking. mittlerweile arbeite ich allein. you know, you are just here for a month, but if i do that, i will loose my job. ich verstehe und weiss, dass der fehler in meiner planung vorab lag, nicht aber in dem verlauf vorort. trotzdem kommt er vorbeigeeilt, um ein paar photos zu machen. sie lernen sich kennen; i don’t know what you look like, but i think you are acceptable. wir filmen und photographieren den blindenspaziergang zum altstadtbrunnen, die tramfahrt, der blindenstock in ihren haenden, den kopf ans fenster gelehnt, als wuerde sie hinausschauen, die miljacka zieht an ihr vorbei und doch, sie hoert das panorama nur.

i do not want to talk about politics, sarajevo is much more than this. it is something completely different. and i simply do not want to relate politics to these people here.

viele fragen fallen mir nun noch ein. macht es fuer sie einen unterschied, ob ihre augen geoffnet oder geschlossen sind?

can i film you, how you walk into the slijepih kantona? yes, but let me just feel where we are. mit ihrem blindenstock tastet sie die strasse ab, sie muss jeden zentimeter kennen, jeden granatenkrater, jedes einschussloch, jede unebenheit dieser stadt, sie kennt die taktile geschichte. oh, but we are so close.

sie hat keine angst. so gluecklich, klar und rein ihr wesen, sie laesst nichts unausgesprochen. wir verabreden uns zum kaffee fuer die naechsten tage.

ich habe schon sehr viel glueck.

if you drink from that water and you are not married yet, you will always come back here until you find a man.

zu dem schmerzenden lied fahren wir nach novo sarajevo und er laesst sich zu weiteren illegalen taten von mir bewegen. wir besteigen jenes bunte, riesige, zerschossene hochhaus. ich weiss, dass er hoehenangst hat und trotzdem erreichen wir den letzten stock. polizei umkreist das gebaeude, aber sieht uns nicht. gegenueber wird ein hochhaus gebaut, aber auch die arbeiter mit der wir uns auf den gleichen himmlischen hoehen befinden, sehen uns nicht, baukraehne schwenken durch die luft, wo einst kugeln flogen. hier wo nur noch die grundmauern stehen, an der weststrasse, hier oben wachsen baeume in den gaengen, etagen und aus dem dach heraus, hier ist frieden in der luft, wo krieg eine bleibende markierung lassen wollte. wir drehen. er sagt tarkowski. das sarajevobild mit den perspektiven, die wir fuer den erzaehler schaffen, wird nun immer phantastischer, und doch, immer realer. wir verstecken uns vor der polizei, verlassen die ruine ueberqueren einen gemaehten rasen –wieso vor diesem gebaeude? wieso wird nicht erst das haus renoviert?- wo junge baeume in halterungen gepflanzt sind, schauen uns granatenkrater im abendlichen sonnenlicht an und ich bin dankbar, weil wir seine szenen gefunden haben. wir essen, ich schlinge wie bei einem wettbewerb. wir hatten vergessen oder nicht bedacht, dass auch das wichtig ist.


viii. mekusac

weichei

ein sturm zieht auf, die baeume biegen sich im garten ueber und vor der stadt, ich denke an die geschichte, die er, der jetzt nicht mehr da ist, mir erzaehlte, von jener furchtbaren begegnung seiner jugend; eine katze so gross wie ein hund, die hasenbabys in einem englischen garten verschlang, das fell der unschuldigen in blutigen fetzen hing noch aus ihrem maul. auf einmal gibt es bewegung am himmel, ein gigantisches tiefgraues wolkenufo versiegelt die stadt an den bergkuppen, ich sehe, wie der letzte silberstreif, verdraengt, auf die andere, hintere, unzugaengliche seite verschoben wird. die schwarze katze sprang vergangene nacht wieder aus der dunkelheit in mein bett, das im hochparterre, so dass ich nach dieser naechtlichen regelmaessigkeit auch seine geschichte glaube. ich habe ein wenig angst. diese stadt, so suess, verfuehrerisch und weich, aber voll dunkler magie, die sich in den zwischenraeumen vollzieht, wenn das auge gerade blinzelt, man den kopf zur seite dreht und sich nur noch fragen kann, war da nicht was? du hast das aber jetzt auch gesehen, oder? bitte!

folgt man dem regen, man achtet auf sein geraeusch, nicht aber auf seine erscheinung.

ich habe angst vor dir. bist du gekommen, um mich zu holen?

was willst du? ich kann nicht bei geschlossenem fenster schlafen.

man hoert das wesen der stadt.

fledermaeuse
ich moechte nicht aberglaeubisch sein.

jeder mensch hat seine eigene zeit, sein eigenes tempo (pace), seinen eigenen frieden.
zeit ist nur fuer das zwischenmenschliche von relevanz.

und ich wandle, durch das warenhaus der traeume doch.


viiii. immer wenn ploetzlich

immer wenn es ploetzlich elektrizitaet gab, haben alle vor freude geschrien.
einmal hat sich jemand umgebracht, ist aus einem hohen stockwerk auf die strasse gesprungen.
wieder haben alle geschrien.
nur die, die das nicht gesehen haben, haben den lichtschalter gedrueckt und nichts ist passiert.

zur eroeffnung des film festivals werden feuerwerksraketen in den himmel entlassen, wo sie ihr lichterspektakel vollfuehren. hier vom hang sehe ich die klangquelle und verstehe das akustische trauma, welches die menschen beschreiben. jene wenigen raketen hallen aus allen richtungen von den bergen wider, die geographie funktioniert als verstaerker. ich schliesse die augen und hoere den terror, den sie ausmalten, sehe trotzdem das blitzen. wie laut muss es bloss gewesen sein, wenn schon eine rakete das ganze tal beben laesst? ich oeffne die augen wieder und sehe wie das leuchtfeuer auf den fenstern der mietshaeuser reflektiert und meine zu ahnen, nachvollziehen zu koennen.

die akustik ist total, allumfassend. das amphitheater bestaetigt sich selbst. ein gigantischer resonanzkoerper.

hier haben die menschen immer ihre fenster geschlossen, weil sie im krieg keine mehr hatten?

der klang des friedens wird hier meist mit ‚normal’ beschrieben, verbunden mit der moeglichkeit, einen ‚normalen’ (arbeits-)alltag zu haben, etwas, das nicht kriegszustand ist.

sie kommt jetzt immer um fuenf uhr morgens, als wolle sie mich zum sonnenaufgang wecken, ich sehe ihre leuchtend-gelb reflektierenden augen vor den leicht erhellten morgenbergen. ich habe eine plastikflasche ins fenster gestellt, so dass ich von dem scheppern, dass sie ausloesen muss, erwache, weil sie sonst so elegant an mir vorbei schleichen wuerde. ich moechte mich des nachts nicht mehr duellieren.


x. goetter

sarajevo, ich habe dich ja wieder lieb. man muss nur so unglaublich viel geduld mit dir haben.

eine Sternschnuppe flog-
sie sagen xylophon und meinen kokain.
manchmal aber auch metallophon.

und ich tanzte mit meinem schatten auf dem dach zu dem abnehmenden mond, der wie in kinderbuechern golden ueber dem tal hing, hier wo ich den musiker lutvo interviewte, wo er auf die berge zeigte, die frontline und tauschboerse der sounds. hier im zentrum, erhoeht, wo man hoert aehnlich wie da oben, klarer oder direkter, von wo aus ihr zerstoren wolltet. ihr habt es nicht geschafft, denn etwas schoenes ist entstanden.

everybody asks me ‚but why sarajevo?’

was soll ich antworten?
well, i come from a plastic world…
hier kann man auch ohne nummernschild auto fahren.

mein koerper knackte zum rhythmus der naechtlichen stadt, wie ich auf seinen daechern tanzte und ich erinnere mich der ballettstunden in den hohen raeumen ueber berlin und ueberlege, ob ich vermisse nun. so trage ich ja in mir auch, das was war und blieb. wie auch euch.

ein rechteckiges lichtfeld, da an meiner wand gegenueber auf der anderen seite vom bett, die vorhaenge wehen im morgenwind, das naechtliche blau verliert sich im erwachen der farben. gleich muesste die katze kommen.

beim betreten der wohnungen zieht man die schuhe aus.
frueher, bei uns, mussten das nur die kinder.
ich schleiche mich heimlich ins haus und hoffe und hoere doch jenen schrei ‚schuuuuhe aus!’
wie kann ich mich an jenen moment erinnern, als ich alt genug war, meine schuhe anbehalten zu duerfen. ich war einer von ihnen.
dachte ich.
hier ein ritual, bei uns die erziehung zu disziplin.

are you christian? hmm, are you atheist? fragte er und laechelte.

ich bin ja keines von beiden, bin glaeubiger ohne anhaenger zu sein. ans leben glaube ich doch. wieder sich positionieren muessen. fuer mich gibt es hier keine zuschreibung.

elvedin i

so kam er vom gebet, die stufen hinab und bei dem brunnen schon wartend seine frau. er zog einen schuhanzieher aus der hosentasche, schluepfte in seine mokkasins und verliess mit ihr den hof der moschee, wo ich wartend verblieb, um ihn anzutreffen, elvedin, den juengsten muezzin, den ich bei seinem ruf ueber und in die stadt filmen moechte. ich versuche ihm zu erklaeren, wie es um meinen glauben steht und er laechelt wieder. well, here are many people that say they are muslims but they do not live it. seine ausbildung erhielt er in der schule gegenueber, nur zwei jahre darf er singen, dann kommt der naechste juengling. dreimal am tag er, zweimal ein aelterer, der ein hoeheres gehalt bekommt. you know, i signed my contract for one year and then maybe another year. he makes more money but for me it’s ok, it’s ok for my life and my relations. wir verabschieden uns, spaeter passiere ich wieder die moschee und sehe wie er lachend und tollend ueber den hof rennt.

ich gehe in die messe, zum abendmahl, moechte weinen, weil hier die menschen noch singen koennen, weil sie keine liederbuecher brauchen, weil sie es schaffen, die hohen raeume mit ihrem andaechtigen klang zu erfuellen, junge wie alte, kinder jagen zu den oblaten, er trinkt den wein, stille gibt es auch hier nicht, selbst wenn sie alle innehalten, von draussen dringt technomusik der feierlichkeiten vom filmfestival. ich mag wie sich tradition und neu hier vereint. menschen kommen vom einkaufen, mit ihren plastiktueten treten sie rasch ein, bekreuzigen sich, gehen wieder ab. das gebet als etwas vollkommen alltaegliches.

was mache ich hier? als muesste ich mich nun, hier in dieser multireligioesen stadt, entscheiden…

vielleicht aber, moechte ich auch nur verstehen.

die katzen jagen mir nun keine angst mehr ein, ich bin frei von ihnen, habe den teufel besiegt, der um die haeuser schleicht, ploetzlich aus den dunklen gassen auftaucht. doch, oh, wie verfuehrerisch war das spiel mit ihm, wie haben wir getobt, ich sah was nicht war, schaute in eine andere dimension hinein, die hinter allem wohnen moechte, die auch captain spok geschickt hat.

das festival hat die laufstege in die stadt gebracht.

und ich komme vom lauschen und sammeln, vom plataeu im nordwesten ueber dem friedhof, wo der erste praesident ruht und bewacht wird, wo die graeber sich in die hoehen hinaufziehen. auf der schwelle von natur und stadt und ich eilte zu dem huegel, um den letzten muezzin des tages zu vernehmen. wie er fertig war, hielt ich an drei spitz zugeschnittenen tannen, die von zikaden uebervoelkert, ich hielt das mikrophon ins immergruen hinein, hielt inne, wieder bewegungslos mit flachem atem um die aufnahme nicht zu stoeren. und wahrlich, es muss ein kurioses bild abgeben, eine lebende statue und auch ich unterdruecke ein lachen, wie ich die spaziergaenger verwundert an mir vorrueber ziehen sehe.

make-belief

und kurios bleibt es doch, wie ich in das kleine nischencafé gehe, wo jazz gespielt wird, und mich in einer runde von un-abgeordneten wieder finde.

i do not believe this country will be free from mines by 2018 as it is set by the eu. there is no money for that anymore. the money goes to kongo, afghanistan, iraq and so on. and there are still people that cannot return to their homes because the villages are still full of mines.

heute abend gefaellt mir diese auslaenderwelt, sie alle haben keinen festen wohnsitz, seit jahren nicht mehr und schwimmen durch fremde welten, in ihr gepaeck, eine mission.

pass auf dein herz auf

schrieb er mir heute morgen und ich erwachte ein zweites mal an diesem tage.

in the centre even, you can hear the cockroaches.

oma?! ich wuerde gerne mit dir reden. jetzt. und wir beide wuerden in unsere gaerten schauen, das telefon an unseren ohren wuerden wir uns ueber die farbenpracht freuen. und du wuerdest mir nacheinander von all deinen blumen erzaehlen und wir wuerden wetteifern, aber du hast ja wieder mehr tomaten gezuechtet als ich dieses jahr und ich wuerde dir im detail erzaehlen, was hier alles geschieht und du wuerdest staunen und lachen, ‚na, sieh mal einer an’, dich so ehrlich freuen, wie nur du es kannst, um dann den atlas, der jetzt aber doch schon mein ist, unter dem sofa, was frueher so schoen samten und gruen wie unser treppenhaus war, hervor holen, nur um dir zu veranschaulichen, wo ich gerade bin, dafuer setzt du deine lesebrille auf, die rechts bei dem roten telefonbuch liegt, und wir beide wuerden denken, sarajevo ist aber doch ganz schoen weit weg. und ich rieche deinen garten, den rhabarber und die rote gruetze, die ich nie mochte und sehe die marmeladenglaeser, die du mit staniolpapier abgedeckt hast, und die bienen die kriechen da durch die kleinen loecher in den suessen tod und willi raucht schon wieder eine gitanes, so fruehstuecken wir noch, aber eigentlich wartet hinter uns schon seit dem morgentau das grosse planschbecken, das wir mit den grossen buersten, mit denen wir immer die marmorbueste und familiengrabsteine schrubben mussten, irgendwann ausversehen kaputt gemacht haben; da unter den hohen tannen, die nachtmittags schatten schenken und wir spielen mit dem staffelholz baseball, neben dem abschlag wo golfbaelle fliegen und lotti, aus ihrer peruecke heraus, sagt, nackt setzt man sich nicht an den tisch zum tee und das alles sehe ich hier, in diesem garten, vor meinem fenster, hier wo ich ploetzlich wohne, auf diesem hang einer neuen stadt. hier, wo ich andere voegel, andere kirchen hoere, als damals, in der neuen vahr.

i haven’t heard this sound for eight years. sagte sie, wie ich ein streichholz abrieb, um unsere zigaretten zu entzuenden. people here don’t do that anymore.

golup mira

aus der ferne manchmal, wie sie da so auf den haengen liegen, ja da sehen die muslimischen grabsteine aus wie umgestuerzte springbloecke auf einer pferdekoppel.

und wie ich so lausche ins tal hinein, da fliegt zum ersten ruf von ezan eine weisse taube in meinen blick, als fuehre sie ihr eigenes gebet, gleitet da vor meinen augen hinab, im kreis, ueber die daecher ganz in anmut, ich folge ihr, das strahlende weiss vor dem rot der ziegel aufblitzend, glaube sie im dunst verschwunden, doch sie hat sich, heimlich auch, unweit auf einem strommast niedergelassen. und sitzt da immer noch. in ihrem friedensgewand und ich bei ihr. hier zwischen den abschussraketen und vampirzaehnen.

und sie haengen tatsaechlich ihre waesche nach farben und groessen sortiert an die leinen. so tanzen im sommerwind, die farbpaletten wie plastiktriolas vor broeckelndem grau zerschossener wohnhaeuser.

kosevo, im nordwesten der stadt, unterhalb des fussballstadions, auf dem hang, wo eine querstrasse muslimische von christlichen graebern trennt, wo die spatzen in hohen tannen zwitschern, und unter einer bruecke ein kleiner markt, eine frau, ja sie bietet zwei kleine schaelchen mit himbeeren, die sie auf einer kleinen holzkiste aufgestellt hat, zum verkauf an. woher kommen sie? wie weit ihr weg?

wie erschreckend klein doch ihr gewinn – zwischen all den anderen.

und hinter kosevo liegt ein friedhof, dort sind muslimische, christliche und juedische graeber vereint. wo gibt es mehr frieden in diesem politisch verspannten land, als in solch ewiger ruhe?

sie importieren nicht. sie verkaufen tatsaechlich nur fruechte und gemuese der saison.
manchmal, aber manchmal nur, vermisse ich ingwer.

die anderen

nimmt man sich ein wenig zeit nur, kann man sie beobachten, jene, die in ihrer eigenen welt leben, mit ihren kleinen aussetzern. hier auf diesem platz gibt es einen, jeden tag kommt er mit zwei neuen rucksaecken zum brunnen, sie scheinen immer leer, er oeffnet und schliesst sie unzaehlige male, schultert sie immer wieder neu, fuehrt dabei ploetzliche, hektische gymnastikbewegungen aus, um den platz dann wieder zu verlassen.
man sieht es an ihren augen, die von angstvollen, schmerzhaften und erschreckenden erinnerungen erzaehlen. hier sind jene menschen wirklich kaputt und verschoben, weil eine aeussere gewalt es schaffen konnte, ihre seele zu zerstoeren. bei uns aber, ja, da sind die menschen kaputt, weil es in der uebersaettigten gesellschaft keine orientierung mehr fuer sie gibt, weil ihr inneres durch vermarktete leere gefuellt worden ist. sie sind bloss opfer der verbloedung, und so konnten auch ihre augen an jener tiefe verlieren.

ist frieden denn wirklich nur denkbar, weil es nicht krieg ist?
was war vor dem krieg?
ist es, wie handke schreibt, dann vielmehr ein zwischen den kriegen?
und wo setzt dann die klangliche geschichte an?
wenn jetzt der klang des friedens die geraeusche der rekonstruktion sind, was waren dann die geraeusche vor dem krieg, wo nicht gehaemmert wurde, weil noch nichts zertoert war, wo auch frieden war oder sein wollte?

i don’t have anything against them. but, for us, it’s just we are not used to it.
ich moechte einfach nicht glauben, dass es ein thema ist.


xi. wo einmal was war dann nichts war und wieder was war was aber jetzt erst wurde

was machen sie daraus? welche traeume bauen sie?
konstruction oder re-konstruction?
ist es besser traeume zu erfuellen oder zu traeumen?

wo erst was war, dann nichts war, da stehen jetzt einkaufszentren, und da ist pleotzlich alles und sie feiern da feste um zu vergessen, warum ploetzlich nichts war und scheinen nicht erinnern zu wollen was war, bevor es nichts war. denn es fiel regen aus blitzen und lichten und donner, und mit dem nichts koennen sie nun machen, was sie wollen. oder was die wollen, die jetzt da oben stehen. frueher war da ein zirkus, dann war das nichts da, und jetzt stehen dort huellen, und sie wissen nicht ob das besser ist, als wenn nichts noch war.

you have to hunt for it now, go under the surface, otherwise you won’t find the true sound

im nachhinein fallen mir immer so viele fragen ein. die interviews eine jagd, hoechste aufmerksamkeit, jede sekunde entscheidet den weiteren verlauf, man spielt mit der psyche, erweicht der andere, kann man graben, aber ist man nicht vorsichtig und respektvoll, ja dann wird man sofort an die oberflaeche zurueckgestossen.

immer wenn sie etwas zu tun haben, was nicht erklaert werden will, heisst es sie hatten ‘some obligations’. und ich muss dann immer schmunzeln, weil mir so viele geschichten einfallen, obligation kann alles und nichts sein, aber dieses zauberwort, das hinterfragt man nicht, man akzeptiert es.

you knock on many doors and then maybe one will open.

danke, dass du die deine geoeffnet hast und mit deinem balkan-blues den morgen ueber der stadt begruesst hast.

und irgendwie doch, hat die stadt etwas goettliches. dachte ich, wie ich eben noch auf dem gras unter den sternen lag und lauschte. und ich rezitierte die bilder des islams, die mir nun immer haeufiger begegnen. gott wartet an jeder strassenecke, das ist neu fuer mich. mir gefaellt die bildliche sprache… aber mich an jemanden zu binden, der ein gott ist und meine absolutheit will, nein das kann ich nicht. ich verantworte mich vor dem leben.

mit einem bruchstueck des prismas, dem schatz des teleskopes der sternwarte, ging ich zur post, wie ich auf dem weg zu amna in die blindenassoziation war; sie wollte die photos von sich haben, auch wenn sie sie nicht sehen kann, aber ‘maybe i can put them on facebook’; um dieses dem juengsten zu schicken. sieben formulare musste ich ausfuellen, an drei unterschiedlichen kassen anstehen, ihre kassen, ja das sind kleine pappkaestchen, die sie mit braunem klebeband verstaerkt haben, und ich frage mich, wann dieses stueck zeitgeschichte den kleinen wohl erreichen wird, dass er in seinen haenden halten wird, ohne zu verstehen, vielleicht.

snimajem film.
zelim snimajem unutra koce. sutra.

ich moechte in dieser ruine filmen. morgen. fuer mehr reichen meine sprachkenntnisse leider noch nicht, wie ich mit den alten herren, die den parkplatz vor der ruine bewachen, spreche. jene ruine, die ich in den vergangenen tagen so oft passierte, und sie riefen ihn, der braungebrannt mit rasiertem schaedel und einem weissen shirt und kraeftigen muskeln, er der mich daraufhin in die ruine hob, um mir ihr inneres zu zeigen, sofas in den einzelnen etagen, das haus bloss skelett ohne fassaden, im dachgeschoss weisse tische, 70er jahre design, er fuehrte mich durch den ersten stock, morgen frueh um halb sieben, ja, oeffnete seine arme und hob mich hinab auf den parkplatz, ich spielte mit, sie wissen ja nicht, dass man bei uns auf baeume klettert und sich die jugend mit dem einbrechen in leere haeuser, dem besteigen von kraenen und daechern vertreibt und dass ich vor wenigen jahren noch bekannt dafuer war, bei der polizei, die mich, wie sie mich nachts entdeckten, dann immer fragten, kannst du nicht zu einer spaeteren zeit klettern, dann bekommen wir wenigstens keine beschwerden mehr von den anwohnern und wieso machst du das ueberhaupt barfuss?

i baptize you with stress

and i will wear an armani turban.

maybe you can reach more with your work. maybe art helps more than us. what have we reached in all these years? sagt er resigniert, den blick nach innen, nicht zu mir. habe denn nicht meine arbeit vielleicht die kraft, dieses land zu vereinen. dann bricht er ploetzlich, der abgeordnete von der un. manchmal habe ich angst vor meinem ergebnis.

ja, und da war er wieder, der mann, den ich im winter so geruehrt beobachtet hatte, heute morgen, als das café am taubenplatz gerade erst geoeffnet hatte, nach dem wir den balkan blues spielten und hoerten und schenkten und er lief auf uns zu, mit ganz langsamen schritten, der oberkoerper waagerecht nach vorne und den roten plastikspazierstock, ja den hielt er wie im winter, bloss in der hand, und in dem moment fiel hinter mir, in zeitlupe aber, eine alte frau, die auf den glatten pflastersteinen ausgerutscht sein musste, in die caféstuehle hinein und dann zu boden und heute habe ich so frueh doch schon zuckergelée bekommen und als sie wieder aufrecht stand, hat sie gelaechelt.

und dann habe ich gedacht, aber auch gesagt, wie traurig das sein wird, wenn diese generation ausgestorben ist, ihre zeit, ihr spektrum an geschichten, wahrnehmung, erkenntnissen, wissen, tradition und adaption einfach verschwindet, es ist ja doch etwas, das sich in unserer generation garnicht mehr entwickeln wird. vielleicht sind wir oder unsere kinder dann, nur noch mediale zeitzeugen und digitale geschichtentraeger…

peace is, to accept the fact, that there is always conflict.

und die hunde, ja, die hoert man immer nur in der ferne bellen, da im tal und am hang gegenueber, wieder sieht man sie nie und doch gehoert ihnen, mit dem wind, die nacht.

mir ist ja ganz schwindelig, was geschieht mir? wie ich aus dem kinodunkeln auf den vorplatz des festivalski centar trete, suche ich nach halt und finde ihn nicht, taumle ueber den platz, suche den menschenmassen zu entkommen, suche meinen weg hinter die kathedrale, wo sich meine strasse, pehlivanusa, steil hinaufzieht, zu erreichen, langsam setze ich die fuesse voreinander, als wuerde ich das gehen jetzt erst erlernen, kann nicht pausieren, wuensche mir ein gelaender. welche ist meine realitaet? ich sah namen und personen in bosnischen dokumentarfilmen, die mir durch meine eigene arbeit schon bekannt sind, ich sah dokumentationen ueber sarajevo und die geschichte, in die ich hier selber eintauche, sehe diese grosse intellektuelle familie, die hier in dieser stadt ihr netz gesponnen hat, die seit jahren oder immer schon fuer die kunst kaempft, die mir den eintritt gewaehrt hat und ich weiss nicht mehr, was meine reale erfahrung in diesem sarajevo, was ihre filme oder was mein film. ploetzlich werde ich ganz muede.

und wie ich erwache, da lache ich und freue mich.

you know, i went with my dog to bascarsija to eat cevape but then he threw up in the car so much that i do not know how to drive in there now. bei meinem auto wurden die vorderreifen zerstochen, so verschieben wir das interview, das wir am stadtrand geplant hatten.

die staehlernen muelltonnen werden jede nacht geleert, gegen ein uhr faehrt der grosse muellschlucker die engen gassen hinauf, ich hoere und rieche, wie er in die pehlivanusa einbiegt.

und hier fragt man nicht, was der andere macht. bei uns ist das oft die erste frage, was arbeitest du? hier wurde sie mir nie gestellt, immer irgendwann vielleicht ergibt sich das, viel spaeter im verlauf des gespraechs. es geht ja nicht darum.

marijndvor

‚in 15 years it will just sound like any other big city in the world’, ich sage, ‚the globalization of sound?!’ und irgendwie lachen wir dann beide darueber, obwohl ich weiss, wie ernst ihm seine aussagen sind.

holiday inn, twintowers, sitz der un und grosser firmen, baustelle eines shoppingcentres.

‚i don’t know why they build all this. we are not a developed country, we do not have money to buy. here you cannot get permission to build a school or a museum, you only get permission for shopping centres. that’s the sound of sarajevo now, the sound of shopping centres and constructing even more shopping centres’. er zeigt um sich, wo nun diese bauten, einst ein park und ein kleines plateau auf dem jaehrlich ein zirkus praesentierte, zeigt, wo die klaenge sich in der geschichte verloren haben. tram, kinderlachen, zirkus, jahrmarkt, natur. there are no parks anymore in sarajevo.

und wie er so ueber die einschleichende verwestlichung, uniformierung und globalisierung der stadt schimpft, muss ich ja doch schmunzeln. ich verstehe ihn, wie hat sich die stadt schon in diesem einen jahr, in dem ich vergleiche ziehen kann, veraendert und doch, wie schoen ist es fuer mich, weil die ausmasse noch unvergleichlich mit denen meiner herkunft sind, hier braucht man kein aldi, man kann zu den kleinen laeden an der ecke gehen, weil es keinen unterschied macht, man wird wahrgenommen, nimmt wahr, teilt und hilft. hier noch angst der intelligenz, bei uns seit langem alltaegliche realitaet.

mirsad

‚frieden-jetzt’; so sein name, war fuer die tonaufnahmen fuer das radio und fernsehen waehrend des krieges zustaendig. jaehrlich waehrend der belagerung verliess er ueber den tunnel, der zum flughafen fuehrte, die stadt, um nach berlin zu reisen, wo die tonaufnahmen praesentiert wurden. und immer, jedoch, kehrte er in den krieg zurueck. it is absurd, i could really keep my job during the war. und er erzaehlte von berlin, sagte hermannplatz und ploetzlich durchfuhr mich ein blitz, ganz kurz dachte ich, das ist ja meine heimat, dieser haessliche drogenumschlagplatz mit der tristesse der 60er jahre-architektur, da vor meiner haustuer, mit karstadt und mc donalds, ploetzlich, und nur ganz kurz, erlebte ich aber ein warmes gefuehl.

und er hat die toene komponiert, hat kriegsstuecke geschrieben.

und einer schrieb mir, suche die kriegsgeschichten, suche das martialische potenzial der stadt. und du, ich habe hier ja eine antwort fuer dich. der traumatische klang ist von dem klang der kaufhauskultur abgeloest worden, haben sie gesagt. und sie sagen auch, dass das was jetzt ist, gar kein frieden ist.

elvedin ii

er liess sich ueberreden, vor tagen schon, als ich ihn zum ersten mal sah und abfing, wie er aus dem minarett trat, um zum gebet zu gehen, spuerte ich es an seinem laecheln, dass er mir helfen moechte.
wir schlichen auf das minarett, 120 stufen, noch eine halbe stunde bis zum ruf, wir schlichen, um den wartenden nicht zu begegnen, 60 meter ueber der stadt, ich lukte ueber die ballustrade des balkons, wo ich mich verstecken musste, auf diesem minarett der begova dzamija, der aeltesten moschee des balkans, ueber 500 jahre zaehlt ihre geschichte. und wie ich ihn bei dem ausruf filmte, vor ihm im kreis um den balkon robbte, 12 phrasen, fuer jede geht er ein paar schritte im uhrzeigerseinn um das minarett da in der luft und sie schauen alle zu ihm hoch, und da verschwand das laecheln des juenglings, er versank in anmut, seiner aufgabe, seinem glauben, erfuellt durch diese erfahrung bin ich und strahle ja selbst goettlich aus mir heraus. er erklaerte mir vieles, wo wir versteckt in der kleinen hoelzernen tuer sassen und die minuten zum ruf zaehlten und ich haette ihn heimlich filmen koennen, aber ich wollte nicht. ich weiss, dass er sich nicht interviewen lassen wollte. wie schoen wurde er in seiner ueberzeugung; diese erfuellung kehrt sein gleichgewicht nach aussen, voll liebe, unschuld und reife, manchmal nur, noch der witz der jugend. i am with my girl for two years and nine months now. ganz stolz, da oben vor dem austritt auf dem minarett, neben der kleinen holztuer, wo an der wand die namen der bisherigen muezzins eingeritzt sind. er zeigt mir auch den seinen und ein photo von ihr. are you interested in islam?

wie schoen er wurde, erotisch das antlitz dessen, der kein juengling mehr war, wie die stadt ihm lauschte und zu ihm emporblickte.

do you have a scarf?

fuer fuenf mark kaufte ich mir ein rotes kopftuch, seiden, bedachte nicht, dass ich damit der absolute blickfang auf dem sandsteinfarbenem minarett sein wuerde, er fuehrte mir vor, wie wir noch im hof sassen, wie ich es zu binden habe, und ich sage, aber da im badehaus der frauen, hinter dem milchglas doch, kann man sehen, wie sie sich ihre schleier abnehmen, um sie neu zu legen und ob das nicht doch ein bisschen schluepfrig sei, ich wollte ihn photographieren, wie er da als rotkaeppchen neben mir, ich bin ja ganz vernarrt in ihn, sein reines, ehrliches wesen mit diesen lieben augen, no, you cannot take a picture of a muezzin with a scarf, das sah ich ein. er riskierte ohnehin genug, hatte er doch mein kommen so eingerichtet, dass die bueros der gemeinde schon verlassen, und er zeigte mir, wo die augen, die nun nicht mehr da sind, den platz und das minarett im blick haben, zeigte mir die videokameras, denen man nicht entgehen kann, er sagte, normalerweise bekomme niemand eine filmerlaubnis, sogar al-djasira musste zahlen, um vor zwei wochen vielleicht, hier filmen zu duerfen.
noch im rausch, im emotionalen wahn, wie ich die tonaufnahme zuhause einspiele, ihn hoere, wie er so klar in mein mikrophon ruft, wollte ich wieder weinen, doch trage ich ja keine traenen in mir die rollen wollen. beim filmen konnte ich diese emotionalitaet in ihrer totalitaet nicht zulassen, denn ich robbte wie ein geschlaengelter wurm ueber den balkon, in der angst, man koennte meinen haarschopf von unten doch erblicken und ich weiss, er schenkte mir in jenem moment seine geschichte, seine wahrheit, seine persoenlichen vorbereitung fuer den ruf, fuer jene verwandlung und den tritt zurueck. er fluestert, that’s it und nimmt seinen fez vom kopf und wir eilen hinein, weil er zum gebet muss. seine worte blieben unaufgezeichnet und wir teilen minuten, die nicht mittelbar sind. er erklaert, und da ist das hotel europa, welches im krieg gaenzlich zerstoert wurde. er nimmt die kamera, fuehrt sie im kreis um das minarett, damit ich meine stadtansichten habe, was aus der hocke fast unmoeglich und wir verwerfen das kopftuch, es ist ja ein magnet fuer die augen und ich weiss, es ist ihm ein wichtiges anliegen und doch respektiert er auch, dass ich frei von religion lebe hier in der seinigen, er laechelt, you should not even wear only this t-shirt here. und wir eilen die 120 stufen hinab, er oeffnet die tuer, einen spalt nur, blickt hinaus und sagt ‚run!’ ich strahle ihn an, renne davon, aus dem hof hinaus, verschwinde in die ueberfuellten gassen, traue mich nicht, zurueckzublicken, wie ich es sonst bei jedem menschen mache, das nachfuehlen und nachwirken vollzieht sich ohne blicke nun, nur hier, in meiner selbst.

‚do you even know what this mosque means to the muslim world?’, dies seine erste antwort vor wenigen tagen. ich war naiv, aber ich wollte unbedingt dort oben hinauf, mit ihm, denn ich habe seinen ruf gehoert… but there must be a possibility, no?! er laechelt. and if i hide? er lachelt. mit seinen 18 oder 20 jahren. und nach fuenf tagen ja, da erfuellte er meinen wunsch und ich trage eine dankbarkeit in mir, die mich diesen moment nicht vergessen lassen wird.

when does each mosque start? how does the calling travel from mosque to mosque? is there a fixed pattern? well, no, they are supposed to start all at the same time.

in einer woche reist die kamera nach deutschland zurueck und mir ist, als wuerde ich ein kind verlieren, dabei weiss ich doch, dass die eigentliche geburt mit dem schnitt des materials erst noch bevorsteht.

man leckte die zigaretten immer laengs an, im krieg, damit sie laenger halten. und er, er schwitzt immer so sehr, dass er anstatt zu lecken, die zigarette an seiner stirn entlang zieht und die schweissperlen, die wandern dann in den tabak hinein, wo sie sich zu einer dunklen linie formieren. und dann lacht er aus seinem vollen, baertigen gesicht und manche, da am nachbartisch, schauen ein wenig angeekelt.

aber ich zitiere euch ja, meine geschichte, die waere ja nicht, nicht ohne euch.

mohammed

you know, life changed completely after the war, we do not have fear anymore. of nothing. the only fear is the fear of god, but even of him that’s not enough. er lacht, pumpt dabei den rechten vorderreifen des wagens auf. er traegt einen feinen anzug, nadelstreifen auf marineblau und wie sehr er da auch montiert, er wird nicht schmutzig, er haelt seine erscheinung. mohammed und ich haben viele momente uns kennenzulernen, unsere welten zwei entgegengesetzte pole, aber der respekt und das interesse am wohlsein des anderen ist profund. you have to go through the people, talk to the normal people here and then you will understand where they come from and what they went through. and when you have understood that, then you will understand sarajevo and when you understand that, then you can understand bosnia.

und sie laecheln immer so liebenswert und amuesiert, wenn sie vom krieg erzaehlen, so ganz ohne tragik und ich selber, ja, ich weiss dann nie, wie schaue ich eigentlich, es scheint so falsch in dem moment betroffen zu wirken, eben weil sie die kraft hatten und haben, sie haben es ueberlebt. und sie laecheln da immer noch.

i got shot two times, once in the back and once in this leg. er tritt mit diesem wieder auf die pumpe und ich frage viele fragen, die sich in mir angesammelt hatten, als sei ich ein hungriger fischer, und mein netz aus fragen spinnt sich immer weiter, ich werfe aus, staune ueber den fang und dann teilen wir die mahlzeit auch, vielleicht weil ich gehoer schenke, vielleicht aber habe auch ich etwas zu erzaehlen. das weiss ich dann aber nie wirklich so genau.


xii. vodopad

theater der stadt mit einem virtuosen orchester und so spielt es doch, die melodien eines wasserfalles.

meist koennen sie das geld nicht wechseln. jeder schein ueber 20 konvertirmark ein problem. und meist bekommt man dann die ware umsonst.

ich hoere deine angst, und fuerchte mit dir nun, die globalisierung der sounds.

ja, den hunden, ihre ist es die stadt, wenn die menschen schlafen, den rauschenden wasserfall ausschalten und ihre autos parken, da hoeren wir sie, ihre bellenden geschichten, sie kommunizieren von hang zu hang, wie ezan hallen auch ihre rufe in diesem gewaltigen resonanzkoerper wider der aus bergen ist.

es gibt nicht viele kirchen in sarajevo. nicht so viele, wie es moscheen gibt und doch, ihr glockenschlag immerda.
you see how many mosques there are? er laechelt, i can see already nine from here, just right in front of us.
mohammed, why do you need so many mosques? and why even, do you built so many more mosques?
und aus dem fenster schaue ich in diese sternenklare nacht und vor mir liegt ein verzerrtes, leuchtendes rechteck auf dem gruen, darin eine lange, schwarze gestalt mit einem giraffenhals. mein schatten und ich, da, aus dem wohnzimmer hinaus projeziert tanzend da im gruenen himmelszelt, bis ich den lichtschalter druecke und auch wir uns in der schlafenden dunkelheit aufzuloesen beginnen.

es gibt ja viele deutsche nummernschilder hier. meist aber sind es heimkehrer, ehemalige fluechtlinge. ob wahrlich ein tourist faehrt, ja das sieht man dann, wie vorsichtig und ruecksichtsvoll er noch durch die schmalen gassen manoevriert, den fussgaengern aufmerksamkeit schenkend und beim einparken muss er noch unzaehlige male vor- und zuruecksetzen. ein bosnier, ja, der ist doch viel wilder, der faehrt einfach und es passiert trotzdem nichts.

immer wenn ich die farbenfrohen spielplaetze vor den schussloechern oder ruinen passiere, sehe ich keine kinder. die schaukeln, rutschen, farben ohne sie ganz traurig, vergessen, aus einer anderen zeit, als wuerde niemand wissen, wie mit ihnen zu spielen. wie kindergrabsteine. etwas das keinen sinn ergibt.

sterbende geschichten

jeder kennt die lieder und kann mitsingen. die kultur wird vererbt. manchmal noch, als wir klein waren, da haben auch wir noch volkslieder gesungen, wie wir mit den raedern sonntags ins gruen oder wochentags in den sonnenuntergang gefahren sind. aber ein bisschen komisch war das schon damals, ein bisschen jenseits und anders waren wir vielleicht doch. unser liedgut gleitet in die vergangenheit und niemand mag mehr bote sein.

ich folgte dem glitzernden licht, das ueber den daechern der altstadt in der ferne hing, doch kam ich an seine quelle, verschwand der zauber, so auch meine goettliche halluzination. was ich sah war leuchtende reklame, grossstadtromantik.

manchmal, da hoere ich geraeusche, die gar nicht sind. oh, wie spielt meine wahrnehmung mit mir, gedanken und realitaet verschwimmen, wir sind undifferenzierbar geworden, ich schaue auf die uhr und denke, aber ezan kann doch nicht schon wieder singen? aber ich hoere dich doch! ich frage nach, does he sing more often during ramadan? ich phantasiere, habe meine distanz verloren.

werde ich erfuellen? eure erwartungen? ihr sprecht ja hier alle davon, wie gespannt wartet ihr auf das ergebnis. macht mir keine angst, ich moechte euch ja begluecken….

ramadan
und ihr habt gerade damit bekommen, ich erwache von einem mittagschlaf, blicke aus dem fenster und du rufst mich in diesem moment an, wir sehen uns eigentlich. but where are you? ich komme ja schon, an diese reich gedeckte tafel unter den apfelbaeumen, auf dem grill frisches cevape, und ich lache amuesiert, weil ihr sagt, wie soll ich 16 stunden nichts essen koennen? ja, gestern haben wir gefastet, abends gab es dann ifter, aber einen monat, are you crazy? sie schenken wein ein, da unter dem schatten der baeume und die sonne moechte noch lange nicht untergehen und ihr anderen alle wartet noch auf den schuss, jene muslimische tradition, die es nur in sarajevo gibt und den anschliessenden vierten gesang, der zum essen ruft.

einmal, vor ein paar jahren, durfte ein besucher mit hinauf, auf jenes minarett. doch dann hat er sich von der ballustrade in den tod hinabgestuerzt; hat mohammed erzaehlt.

und ihre ideen, die sterben dann

weil die politik unterbindet, weil es kein geld gibt, weil sie keine moeglichkeit sehen und weil sie nicht mehr wissen, wie sie da noch weiterkaempfen sollen.

novi grad

heute morgen, noch frueh an diesem sonntag, ziehe ich los, weil ich verstehen moechte, zu den anderen geschichten, in den anderen teil der stadt, den niemand wirklich zu sarajevo dazu zaehhlt, dort wo die hochhaeuser stehen und mit ihren steilen waenden, die die berge als abnehmer der klaenge ersetzen. alles schlaeft, die schluchten gehoeren den kraehen, sie schreien lang und oft, ich hoere, wie ihre krallen ueber die wellblechdaecher kaputter garagen eilen, ihre rufe hallen von den steilen wohnfronten wieder, springen wie billiardkugeln zwischen ihnen hin und her, der hall der in der altstadt durch die natur der geographie erzeugt wird ist hier konstruiert, es spielt ein anderes virtuoses orchester. und die kraehen mit ihren langen beinen und schnaebeln, die machen sich auch diesen morgen, an dem die sonne nicht scheinen moechte, zu ihrer eigenen apokalypse.

und er,
er kam aus einem anderen krieg, und wir, wir zogen gemeinsam durch diese stadt. und gab es ploetzlich ein unerwartetes, hartes, lautes geraeusch, ja da zuckte auch er zusammen, wie ein angstvoll erschrecktes reh, mit seinen braunen augen und den langen kamelwimpern.

und ich sehe seine zotteligen haare und seine mutter, die hat einen draht in der hand, in der form eines schuerhakens und sie durchwuehlen die staehlernen muelltonnen, da in novo sarajevo, angeln da und ich denke, der tag ist ja gerade erst erwacht, wieso geht ihr so frueh am morgen? die container werden doch immer erst in den fruehen stunden geleert, da kann doch der fang noch nicht ausreichend sein? und ich sehe ihn wieder, wie er einen kaputten kinderwagen mit dem gefundenen gut ueber gehwege und kantsteine schiebt, mit seinen, vielleicht, sieben jahren, und ich denke, aber du bist ja noch viel juenger als mein kleiner bruder und sicher bist du der aelteste von deinen geschwistern, derjenige, der immer schon mit losziehen muss, aber wo ist denn deine unschuld? ich moechte dich in den arm nehmen, dir durch dein zotteliges haar streicheln, was ja schon ganz ausgebleicht ist, wie deine lumpen, die du traegst, und trotzdem doch, bleibt die welt ungerecht. und ich sehe euch, wie ihr in restaurants essen zugesteckt bekommt, und ich denke, wieso bloss, seid ihr randgesellschaft, wer erlaubt euch das? ihr lieben kleinen zigeunerjungen…

und bei den tauben neulich, da dachte ich, die sind wirklich entartet. da funktioniert der begriff, denn sie haben das fliegen verlernt, sie wollen sich ueberfahren lassen, sie schrecken vor nichts, auch nicht vor meinem hupen, zurueck, verbloedet bleiben sie da auf der strasse und gurren.
und dann gibt es wieder ueberall taubenmatsch.

und dann erinnere ich, jetzt, aber rueckblickend, wie er bald noch des nachts einen fuchs ueberfahren wird.

was ich noch liebe.

faehrt man mit geoffnetem wagenfenster durch diese stadt, wie heute auf der weststrasse, wie ich auf dem weg nach novi grad und ildiza war, so unterhaelt man sich mit den fahrern auf den anderen spuren, man passt sich in seiner geschwindigkeit aneinander an, plaudert ein wenig und wenn die wege sich dann wieder trennen, dann wuenscht man sich noch einen schoenen tag und faehrt dann auch mit einem laecheln weiter.

hier kann man lieben. zu jeder zeit und man wird nicht bestraft dafuer.

there was no room for lies.

derzeit bin ich haeufig in novo sarajevo. bei uns, scheint mir, ich muss jetzt doch vergleichen, denn meine herkunft ist mein referenzsystem, noch, sind die randbezirke, die hochhausgegenden, die ghettos, von einem frustrierten und agressiven potential gepraegt. hier aber, da halten die menschen, gleich wo sie wohnen, ihr warmes wesen. ich erlebe andere geschichten, aber finde die gleiche gutmuetigkeit, auch dort bei den alten herren, die schach im schatten der schluchten spielen, oder da wo die kinder herumtollen und autofahrer aergern, aber wo dann doch alle lachen. auch da wird man miteinbezogen, man redet mit einander. und ich auch, mit meinen wenigen worten, die ich immer wieder neu aneinanderreihe.

auf dem zigeunermarkt, wenn alle ihre staende abgebaut haben, bleiben immer sachen zurueck, die keiner mehr kaufen oder verkaufen mag, und dann liegen da all die geschichten, die in der hitze so schnell staubig werden und keiner kuemmert sich darum. der wind bemaechtigt sich ihrer und traegt sie davon. sie leben immer nur durch ein von außen. ich moechte euch erzaehlen.

if you are clever, you will know how to get my story. if not, we will stay at the surface.

er holt mich mit seinem gelaendewagen ab, damit wir zu seinem haus, welches er gerade baut, da wo einst front, genau da wo er mit dem leben davon kam, da wo ihn der schuss nur knapp verfehlte, da wo der serbe zu ihm sagte: i am going to shoot you now, fahren koennen, da unterhalb der sternwarte, da wo keiner sonst weiter hinaufbauen mag, weil die gegend nicht entmint wird, weil da die republik srpska beginnt, da wo er sich entschloss, der armee seinen dienst zu verweigern, da, wo er dann als kriegsgefanger aus sarajevo strafdienst ableisten musste. da. aber wir hielten noch in dem nachtclub, den er dann waehrend des krieges aufgemacht hat und er kennt die geschichten aller jugendlichen der stadt, er sieht sie erwachsen werden, und ich lerne seine tochter kennen und wir trinken kaffee und ich weiss, es werden noch viele stunden vergehen, bis wir mit dem interview beginnen. ich bin sehr, sehr muede. eigentlich kann ich nicht mehr. aber ich will. wir erreichen das haus, er fuehrt mich durch die halbfertige konstruktion, die mit kiefern verkleidet wird, er teilt sein leben, er kocht essen fuer die hunde und ich schlafe ein wenig auf einem autositz in dem offenen wohnzimmer und er kocht mir einen starken nescafé und ich vergesse das interview und wir reden und reden, ich erwache und traeume, ich bin zu besuch und wir sind einfach. er erinnert mich an mein vorhaben, schenkt der kamera und mir seine ehrlichkeit, seine vergangenheit, seine empfindung. er dreht sich einen joint, zeit gibt es nicht mehr, nein danke, ich moechte lieber nicht, ich weiss, er lebt fuer die zukunft, schaut nicht gerne zurueck, im keller seine vergangenheit in kartons, aber es interessiert ihn nicht, er blickt nicht zurueck und tut es doch, fuer mich jetzt. er lauscht. und ich lausche auch. vodopad.

anschliessend, bevor wir in die stadt hinab fahren, welche er wegen ihres bestaendigen rauschens, wasserfall – vodopad – nennt, weil sich die stoergeraeusche hier oben verfluechtigen und alles zu dem rauschen des lebens wird, hier auch, wo einst so viel blut floss, sagt er, zeigt er mir eine ehemalige und doch zerschossene oesterreichische festung, und da sehe ich es im tal, das gigantische amphitheater. sarajevo, wo ist deine quelle? dankbarkeit in meinen venen und ich weiss, dass die gespraeche fuer die kamera nur funktionieren koennen, wenn man auch sonst zu teilen weiss. wir lernten uns kennen, verschoben den termin ueber viele tage immer wieder, bis er zeitlich und gedanklich reif geworden war, bis wir wussten, wir koennen uns dafuer begegnen. dankbar bin ich, weil ich wieder einen menschen kennenlernen konnte, und wir haben uns jedem den einblick in eine eigene naehe und offenheit gewaehrt. und, ja doch, ich fordere ja intimitaet. aber wie gerne gebe ich euch die meine. ich bin nicht mehr rastlos. die zeit wird hier tatsaechlich genutzt, fuer das wesentliche, das soziale, das miteinander. you are pleasant to be around.
er erzaehlt mir von seiner dealervergangenheit in den 80er jahren in hamburg wie wir wieder im gelaendewagen sitzen und dass er zurueckkehrte, weil er kein angsteinfloessender gangster werden wollte. aber pistolen, die hat hier auch heute noch jeder. er hat zwei. immer bei sich. believe me. wir umarmen uns. pehlivanusa 14. but now, you go to sleep.

sometimes i think we cannot try anything but democracy in politics.

just because the generation of our parents have tried all of that. and they prevent us from communism because they have failed. welche alternativen bleiben uns?

kommt daher unsere passivitaet, weil wir es einfach nicht wissen? weil wir es einfach nicht erdenken koennen? weil wir es nicht vermoegen, eine neue, eine bessere form zu entwerfen?

sie erkennen sofort, wie es ihrem gegenueber geht, sie haben einen unfehlbaren scharfblick. there was no room for lies.

sometimes we have problems because i am muslim and he is croat.

ich verstehe diese differenzierung nicht. weder nationale zugehoerigkeit als problem, noch die religioese, aber das eine mit dem anderen gleichzusetzen, ergibt fuer mich keinen sinn.

und ich lerne, dass religion, herkunft und politik tatsaechlich ein widerstand sind, dass es eine welt gibt, die eine zuschreibung, differenzierung und kategorisierung der menschen einfordert, die dazu draengt, sich positionieren zu muessen, dass es nun staedte gibt, in denen die schulen nach religioesen glaubensrichtungen getrennt werden. ich laufe auf, will rebell sein, fassaden einreißen.

wieder zu spaet, wie ich erkenne, dass ich nicht mehr kann. vielleicht moechte ich nicht lernen, acht zu geben, meine ressourcen einzuteilen, kaempfe solange, bis meine lider ihr eigenes leben fuehren und einfach zufallen, sie wollen nicht mehr auf meinen kopf hoeren. du siehst furchtbar aus, sein erster satz. wenige stunden spaeter sehe ich das ein, weil ich wieder halluziniere und weiss, dass es bloss der fehlende schlaf ist. wir fliehen, besuch aus deutschland und ich, fuer zwei naechte am meer. wieder habe ich vergessen, dass ein solches projekt auch distanz braucht. ich habe sie verloren, irgendwo da im kessel, bin mit allem verschmolzen, habe keinen chef, niemanden der mich zurechtweisst und jetzt, da falle ich.

doch gerne.

nista

an der adriatischen steilkueste, und wir haben ihn mitgenommen, den, der aus einem anderen krieg kam, nachts, wie er da am strassenrand in mostar vor dem bahnhof sass und wir fuhren durch die nacht zu den ueblichen kassetten und lachten, weil wir jeder eine individuelle geschichte und doch ploetzlich in einer neuen gemeinsam verwickelt sind, und wir fuhren im kreis, diese drei einzelnen geschichten in einem handlungsstrang, was unsere neue gemeinsame war, wuerden wir noch erkennen, was die jeweiligen kontexte fuer die zusammenkunft, bleibt kurioses gedankenspiel, und sahen nicht, dass das meer stets vor uns lag, in der gleichen zeit haetten wir es gut bis ins suedliche montenegro geschafft, und wir fuhren, hielten, pflueckten feigen am strassenrand unter dem himmelszeit, und wir erklaerten die sterne, la voie lactée, ein anderer fuhr nun und wir schliefen und dann sah ich das gotteshaus und die pinien und er, der fand dann eine nische an den wellen und ein salamander schleicht um meine fuesse, ich denke nichts, die haare salzig und ich schlafe immer wieder ein, oeffne die augen, bloss, um sie sofort wieder zufallen zu lassen. ich kann nicht anders. sarajevo existiert nicht, nichts ausser dieses so schwere wohlgefuehl, das mich gaenzlich einnimmt, dem ich mich nicht entziehen kann. ich habe keine kraft mehr. ich will nicht. nichts – nista. nicht heute. ich hoere das rauschen und vergesse alle sounds, die halluzinationen verfluechtigen sich und ich sehe krissellocken im wind. ich erlaube mir muede zu sein. ich schlafe, mal unter den pinien, mal an den wellen. ich rede nicht. ich denke nichts. laechle im wachtraum. ich versuche zu denken und schlafe ein. ich werde gereinigt, das meer spuelt alles aus mir heraus. ich kaempfe nicht, ich bin dein natur, verfuege ueber mich.

prava ljubav ii

im sonnenstaub. im alles und nichts, wo granataepfel wildern. agaven wie schwarze scherenschnitte vor dem glitzernden, impressionistischen azurblau, vor ihnen alue vera, dann ein steiler abhang und mein besuch, der tollt da unten als wassernixe durch die wellen, silberstreif am horizont. nichts gibt es zu denken. eine oeffnung zwischen den inseln vor split, wo sich die weite verliert. meeresrauschen, zikaden, pappeln im wind. ich sammle kraft. ich weiss das. morgen rede ich wieder mit euch.

nichts – und all das bezichnen wir als stille, weil wir eben schon viel zu sehr an die geraeusche der stadt konditioniert sind, weil sie die stille an sich ausschliessen, weil stille dann all das wird, was urbanitaet nicht ist. und so, ich moechte dich nicht zitieren, ich mag deine buecher nicht, aber ich gebe dir hier nun doch recht, ist stille ein geraeusch.

wie wir da so schlafen, im schutze des christlichen gottes, in unserem versteck am meer, liebe ich ja wieder. bedingungslos. und ich weiss, im geheimen, fuegt sich in mir das puzzle der vergangenen wochen zusammen, das ich legen werde, wenn ich zurueckkehre.

ezan, wo bist du? ich schrecke hoch, sonnenaufgang, aber nur wellenrauschen.
mit neuer empfindlichkeit in die retour.
nur schwere suesse kirchenglocken. man hoert die staubige hitze. wir laecheln und ich schlafe wieder ein.

wie viel schoenheit ertraegt ein mensch?

mir fehlt bosnien. ein stechender schmerz durchzieht mich.

wir fahren nach neum, der einzigen bosnischen stadt mit zugang zum meer. you should go there, it is so strange. all the bosniens without passport and without money hang out there, you should definately make this experience. ich sehe keine primitivitaet, aber ich fuehle etwas heimatliches. ein warmes rauschen durchzieht mich, wie wir die grenze passieren. und wir nehmen wieder einen anhalter mit, wie wir aus dem garten eden kommen, wo feigen, tomaten, paprika und weintrauben wachsen, wo wir wandelten um zu pfluecken, in der klaren unschuld eines bergsees trieben, unter einem olivenbaum schutz vor dem zenit suchend, und ich rieche dich. und ich weiss du schenkst mir gerade leben.

et bonjour, bonjour la vie

schlaf fand mich fuer ueber 20 stunden, mein erster bosnischer traum und ich erwachte von meinem lachen, ihn, der aus dem anderen krieg kam, den bringen wir zur busstation und fahren ueber polcitelj und mostar nach sarajevo zurueck. ich setze mich ans steuer, ich muss die geschwindigkeit spueren, mit der wir zurueckkehren, moechte nicht mehr halten, ich moechte zurueck, moechte beenden, was ich begann, ich sehe das westportal, lange bevor wir es erreichen und lache wieder ganz ungeniert in mich hinein und denke an das lied, mit dem das leben begruesst wurde, wo wir alle noch zusammenlachten, und lache auch aus dankbarkeit fuer all die kreuzungen, die das menschliche netz der begegnungen schreibt, ich moechte auf meiner strasse immer mehr kreuzungen haben, moechte euch treffen, von euch lernen, mit euch teilen, mit euch lieben und dann sehen wir wie weit wir gemeinsam gehen.

du passt gut nach bosnien.

you should do the same in beirut. klaenge moderner nachkriegsstadte im vergleich. politik als akustischer machthaber. wieso nicht.

sarajevo.

eigentlich muesste man im leben viel oefter applaudieren.

i am afraid of plastic world. in croatia i saw lidl and i got nautious.

und wie schnell ist man zurueck. der zauber nun vergangenheit, in der verschriftlichung und hier, beim kuppelbau, kava bosansku, drina light und einem grund.

sarajevo in seiner eigenen farbintensitaet, wie es da so unter uns lag, im dunst, ein blauer schleier, von der oestereichischen festung aus, die ueppigen waelder in den abendhimmel sich hinaufziehend. und das immergruen, wie es da so vereinzelt auf den karstigen bergkuppen steht, wie giraffen oder riesenpilse, da in meinem blick.

der achte tag

zu ramadan singt er ohne zusaetzliches mikrophon, ich hoere dich ja kaum. wie er in der holztuer, die zum minaratt hinauf fuehrt, verschwand und ich stellte mir den ablauf in seinen details vor, zaehlte die schritte, sehe ihn auf einem absatz stehen. you should take a break, you will see. i always take a break. und wie er wieder aus der tuer trat, kam er laechelnd auf mich zu. wie reich sind diese momente der wiederkehr.

wie ich lausche; und sie legen immer mehr gebetsteppiche im hof aus, weil die moschee selbst schon ueberfuellt ist. es ist der achte tag, der letzte ruf an diesem und ich hoere ihre nackten fuesse, wie sie auf den teppichen quietschen, wie sie in die hocke gehen, sehe sie tuscheln und lausche doch mit ihnen. ein frischer duft weht ueber den hof. die reinigung ist hier absolut. manche kommen zu spaet, sie eilen. und weil es nicht mehr genuegend teppiche gibt, so knieen sie auf den marmorboden nieder und ihre stirn, die kuesst dann diese fliessen. und wenn sie sich im kollektiv beugen, da hoert man ihre senkung und ihre ankunft auf dem boden mit vielen echos, so wie auch ihre bewegungen hinauf, wie stoßartige, ploetzliche wellen, die gegen ein holzschiff prallen, wo doch sonst die see schon ganz ruhig.

und sie alle sind dann eine wogende masse, eine glaubende welle.

hier ist alles immer ein kompromiss.
sagt er und ist doch zurueckgekehrt. vielleicht weiss er selber nicht wohin.

immer gibt es alternativen. die menschen bleiben erfinderisch, weil ihnen die handlungsschritte nicht von einem system abgenommen werden.

wo sind all die tauben in der nacht?

sie hoeren keine musik, wenn sie durch die strassen gehen, die mp3-individualisierung des menschen hat hier noch nicht begonnen. und ich fuerchte nun, wann wird auch all dieses hier europaeisiert und vereinheitlicht sein?

geraeusche hinterlassen.

sie leben in und durch ihre fluechtigkeit.

aber du, du hast ja verstaerker in den ohren!

frueher, wurde mir erzaehlt, da schlief ich stets mit offenen augen. auch hoerte ich alles. sagte man. noch immer schnelle ich aus dem tiefschlaf hoch, senkrecht ploetzlich dann im bett und lausche, obwohl ich noch traeume. hier kann ich hase im wald sein, als sei mein sinn uebermenschlich geschaerft. du darfst noch nicht mal atmen, wenn ich ton aufnehme. ich hoere alles, denke lieber garnicht erst! mein besuch begleitet mich.

will man das geraeusch des friedens verstehen, so muss man es von den nachkriegsgeraeuschen differenzieren.

und er, der kleine, hat eine plastikpistole in den haenden, auf der NERF in leuchtenden farben geschrieben, und mit dieser rennt er lachend durch die zerschossenen haeuserschluchten.

und sie spielen krieg, hier, wo ihre muetter einst verfehlt wurden.

plastikschuesse der nachkriegskinder. und die alten, die spielen schach neben ihnen und dazu haben sie sich schweisstuecher um den hals gehaengt.

stromausfall und keiner reagiert und das wort monat, tatsaechlich, – mjesec – wird vom mond und seinem zyklus abgeleitet, ich denke an die geschichten ueber die ‚blackouts’, trete auf die strasse, folge dem toenen einer stechenden sirene, als einzige, kehre ins dunkel zurueck und weiss, es macht keinen unterschied, vielleicht sind sie es auch heute noch, 14 jahre spaeter, gewoehnt.

5:30

das erste gebet in der begova dzamija, wie es endet leuten die kirchturmglocken, die gassen noch leer, die sonne bloss eine vage vorahnung und auf dem sehbi, dem brunnenplatz, kommen die tauben aus allen himmelsrichtungen angeflogen, als wuerden sie zur arbeit gehen und die wilden katzen, die stromern noch ueber das helle pflaster, der morgen hier den tieren.

und meine kamera, die verfolgt dann das erwachen. und sind die menschen da, verlasse ich.


xiii. stille

es ist so still, dass meine ohren schmerzen.

auf der hoechsten spitze von trbvice, wo unten die wolkendecke ueber der stadt haengt, viele hundert meter unter mir, hier am immergruenen rand.
manchmal hoere ich eine kuhglocke, mit etwas glueck auch eine motorsaege, aber auch wind gibt es keinen. das ist die natuerliche stille, das, was an sich ist, was nicht erzeugt werden kann, das, was wir belagern und ueberlagern. auch die urbane nacht kann einen solchen zustand nicht hervorbringen.
dieser akustische moment, der keine akustik mehr hat, so schoen und schmerzerregend, erweckt angst in mir. in meinen gedanken fluestere ich nun und selbst das kratzen meiner feder, hier auf diesem papier, scheint zu laut, zu durchdringend. hier oben, wo die sonne ueber den wolken, hier wo eine muecke so unertraeglich laut.

ich bin es nicht gewohnt, kenne stille ja gar nicht, sie ist bloss eine vorstellung gewesen.

und vielleicht auch, ist stille dann gar kein geraeusch mehr.

ich habe angst vor meinen gedanken. vielleicht sind sie zu laut. vielleicht mache ich mich angreifbar, meine phantasie spielt wieder.

so weit ist es gekommen, dass pure schoenheit angst bereitet.

es ist so schoen, dass ich nicht weiss, wie ich es aushalten, die natur hier oben, gleich ueber der stadt, ein urspruengliches paradies und doch so unverwoehnt und bescheiden, so anmutig und liebend, in meiner welt und herkunft doch schon vergessen, in bilderbuechern kann man sie noch finden, vielleicht, aber dies zu erleben und er, der jetzt nicht mehr ist, sagte einst, wie wir durch die akazien stromerten, vor vielen jahren scheint mir nun, wo der rhododendron so hoch gewachsen und wir im bluetenmeer verschwanden, wie sexy die natur doch sei, wie aufreizend sie sich dort entfaltete, so auch hier, ein wenig schuechterner nur und doch ganz erotisch in ihrer fruchtbarkeit. panisch-euphorische emotionen durchfahren mich und ich weiss, ich kann diesen moment nicht greifen, er geht vorrueber, wie ich ihn erlebe, mit jeder sekunde, die ich halten will, ich lausche und schaue, weiss nicht weiter, mein atem rasch, ich moechte schreien und traue mich nicht, weil ich angst habe, alles wuerde zerfallen. eine alte baeuerin, aus dem nichts kommt sie auf mich zu, so ganz bosnisch, man erwartet nichts und ploetzlich steht sie vor mir und wirft mir eine kusshand zu. wenn doch einst nicht alle meine traenen schon gerollt, nicht schon vertrocknet waeren, wie wuensche ich sie mir herbei, um meiner dankbarkeit eine form, einen abnehmer zu geben.

ich traue mich nicht, die strasse zu verlassen, sie ist asphaltiert, vor wenigen jahren erst, sie traegt erst wenige risse, vom schmelzwasser vielleicht, welches im winter dort und hier oben seine eigene geschwindigkeit sucht, und ich weiss, die unmittelbar umliegenden hoehen sind noch nicht entmint. noch immer ist und bleibt dies niemandsland.


hvala // mein dank ii

und da, ueber dem kuppelbau, da nimmt der mond seine kugelform an und die sonne, die ist ja noch gar nicht untergegangen und die mosaiksteinchen tanzen da vor mir, zu einem bild sich zusammen, ich sehe die sternwarte, die bergspitze dahinter, wo ich zum implodierenden kaleidoskop wurde, darunter die stadt, ich kenne dein relief sarajevo, ich habe dich abgehoert, geht es dir gut? kenne deine fallen und schattenseiten, kenne deine schoenheit und die katzen schreien da wieder vor meinem fenster, sie besuchen mich nicht mehr, schlafen nun nur noch auf meinem fenstersims und auch wir haben unseren frieden gefunden. ich lege euch ein bild, einen einblick vielleicht und der mond der steigt und steigt, wird groesser und voller und die wolken sind hinter die berge gezogen und werden erst in einer woche zurueckkommen, wenn die stadt sich wieder aufgeheizt hat, bis es so staubig ist, dass die menschen wieder ihre einfahrten bewaessern, dann werden sie kommen um regen zu lassen, und wir alle finden hier gleichzeitig statt, manche begegnungen habe ich aufgenommen und verfolgt, manche treffe ich immer wieder und weiss, das leben hier hat mich reich beschenkt, die liebe zum detail bestimmt das sein, ich tauche immer wieder ein, moechte nicht mehr an der oberflaeche sein, sondern dich sarajevo, ganz durchdringen, wie auch du mich ganz durchdringst.

und so habt ihr meine geschichte.

in auszuegen vielleicht.

alles findet sein ende.

und doch, wird sie sich weiterschreiben, mit jedem schritt, bis auch mich mein ende finden mag.

so bleibt mein dank die erinnerung als ein immerwaehrendes und unmaterialistisches gut. fuer meine zeit.

 


 

nachtrag

der klang des friedens ist ja dann eben jenes rauschen, das aus motoren, elektrizitaet, natur und stimmen ist. eben weil es lebt und fliesst, weil es anfang und ende, weil es ursprung und dasein zugleich. der krieg dann als unterbrechung, weil er die kreislaeufe der lebensbahnen, des blutes zerstoert, weil er das fliessen der menschen durch die vielen gassen unterbietet. die stadt dann umgekippter stausee, aber kein wasserfall.

das ist der klang des friedens, der vor und nach dem krieg.

vodopad.


 

 

 

 

danksagung

dies nun mein dank an all jene, die mit ihren spenden, naehe, kritik und anregungen dieses projekt ermoeglichten, unterstuetzen und bereicherten. meinen dank auch an all jene die aus deutschland anreisten, um mir zu helfen, die neugierig waren, die mein unausgeschlafenes gemuet mit liebe zu zuegeln wussten, dank an all jene, die in gedanken bei mir waren, die mir glauben schenkten. und an all jene vorort in sarajevo, die wesentliche wege, die ich zu gehen, zu beleuchten wussten.

 

mit besonderer erwaehnung moechte ich folgenden personen danken, die mit ihren spenden einen wesentlichen beitrag zu der realisierung des projektes geleistet haben:

 Rosita Ahns-Höher, Erika Bartels, Hilke Bergemann-Wolff, Beate Brenner, Claudia Dluzak und Sven Schaepers, Werner Eng, Bernd Fieke, Dagmar Friedl, Jenny Gaulke, Elke Haffne, Erika Hauke, Franziska Heimburger, Renate Hintz, Marcel Hoyer, Martin Kosny und Ute Hoffmann, Regina Liesigk, Christel Lippert, Mohammed, Nina Peter, Thomas Schaupp, Alexander Schubert, Axel Schubert, Sylvia Schubert-Fieke, Sabine und Manfred Springer, Cem Sultan, Dorothea Wüsthoff-Cramer.

 

 

 

 

Copyright by Evy Schubert, Sarajevo, BiH, 2009.