Von Evy Schubert | Uraufführung 2020
Live @ BHR OX Bauhaus ReUse | Online Version @ Schaubühne Berlin



1. Zähne zeigen

Fairway, Bunker, Ti, ich.

Da bin ich. Gleich schlage ich ab. Endlich.

Jeden Nachmittag. 15 Uhr. Das ist so. Das ist mein Leben. Ich bin eine Golferin. Herrlich!

Ich kann nichts gegen diese Golferin in mir tun. Man sieht sie mir an. Ich habe ein Handycap. Ich bin salonfähig. Ich bin zufrieden. Wirklich!

Holz, Putter, Eisen, ich.

15 Uhr.
Wir hatten immer blaue und grüne Zahnbürsten. Damit wir nicht durcheinander kamen. Er grün, ich blau. Dabei war er gar kein grüner Typ. Bin ich blau? Eigentlich war er doch immer blau. Dann habe ich rosafarbene Zahnbürsten gekauft. Für mich später eine Gelbe. Es gibt so wenige Farben! Es gibt viel zu wenig Farben! Es gibt bloß meine Gewohnheit. Sie beginnt genau in diesen kleinen Momenten, vollzieht sich, ehe wir sie greifen können und dann ist sie da, so ganz da und erfüllt uns mit totaler Absolution und man weiß gar nicht mehr, wo sie eigentlich hergekommen ist, wie sie einen so durchdringen konnte, dass man aus nichts anderem mehr besteht als aus Gewohnheit.

Ich möchte keinen einzigen Vorgang jemals nochmals ausführen! Und dabei weiß ich doch, ich werde es immer wieder tun!

Komisch, wir haben hier alle die gleiche Frisur.

Ich bin eine Golferin. Warum auch nicht?

Ich sage bewusst nicht Golfspielerin. Nein. Ich bin Golferin, durch und durch. Was sonst?! Ich habe ein Handycap. Ich bin salonfähig. Ich kenne die Spielregeln. Ich kenne mich aus. Ich bewege mich nach einem graphischen Muster, als wäre jede Bewegung vorherbestimmt. Ich gehe graphisch, ich schlage graphisch. Schlage graphisch ab. Die anderen nicken mit dem Kopf, lächeln – graphisch oder barock – ich reagiere, lächele – graphisch oder barock. Ich hole aus. Jetzt, graphisch, gleich, nicht barock.

„Wir haben uns nichts mehr zu sagen!“ – Es ist schwer, nach diesem Satz noch irgendwas zu sagen.

Fahne, Hügel, Loch, Ich.

Ressentiments im Clubhaus. Nicht graphisch, vielleicht barock, Nicht-Ich.

2. Leben ohne Hong Kong

Was ist in Hong Kong geschehen?
Nichts.
Richtig.

Ich schlage ab und habe eine Vorstellung. Ich schlage überhaupt nur wegen der Vorstellung ab, eine Vorstellung, welche vor dem Schlag geboren, um daraufhin angeschlagen durch die Luft zu fliegen, Hoffnung und Wirklichkeit zu werden, Tauben jedoch nicht vorhergesehen, vor allem nicht vorher zu sehen, nicht bestellt oder bestimmt, die Kollision unwiderruflich und doch fern jeder Erwartung, dann die Landung, die Ehrung bleibt aus, kein Siegerkranz. Ich habe ein Handycap. Man beginnt von Neuem.

Was ist nicht in Hong Kong geschehen?

Ich möchte so gerne das andere in mir, das was nicht ist und nie gewesen ist, das andere der Vorstellung, die Vorstellung dessen, was hätte gewesen sein können, dessen, was sein könnte, die die ich hätte sein können oder sein könnte, das Leben, das ich nie gelebt habe, das Ich, das ich nur denke.

Aber, es wird niemals wirklich werden, das andere in mir, all die anderen in mir. Sie sind möglich, aber sie sind stumm. Die Leben meiner Vorstellung übermalt von Vorstellungen der anderen. Ich kenne die Konventionen, den Kodex, ich bin konform. Warum? Ich bin Mitglied, ich bin das Kollektiv, ich verhalte mich, ich leiste einen Beitrag. Warum?

Ich möchte mich endlich auch mal Fehl verhalten!
Ich schlage nicht ab.

Wo sind denn alle?

Clubhaus. Niemand da. Ich.

Ich mit meinem Fehlverhalten, das ohne Zensur kein Fehlverhalten mehr ist. Das geht doch nicht! Wo seid ihr denn, damit ich mich nun endlich auch ein mal Fehl verhalten kann! Damit ich nun endlich auch ein mal hinaus geworfen werden kann! Es muss doch noch einen Rausschmiss geben können!

Dann, ich werde entschuldigt, weil ich immer konform gewesen bin, der Rausschmiss bleibt unmöglich, die Vorstellung, kaum geboren, sofort verpufft.

Im Vergnügungspark von Hong Kong haben wir uns nie getroffen. Ich bin auch nie in Hong Kong gewesen. Wenn ich jemals nach Hong Kong reisen würde, würde ich wahrscheinlich auch keinen Vergnügungspark besuchen.

Wenn ich mir nun aber vorstelle, doch bereits in Hong Kong gewesen zu sein, kann ich mir auch vorstellen, kann ich mir sogar sehr gut vorstellen, auch den dortigen Vergnügungspark besucht zu haben. Sofern es in Hong Kong überhaupt einen Vergnügungspark gibt.

Warum sollte es keinen Vergnügungspark in Hong Kong geben? Angenommen, ich war in Hong Kong, in eben jenem fragwürdigen, nicht existenten Vergnügungspark jenseits meiner Biographie, und wir haben uns genau dort kennen gelernt, vielleicht hätten wir uns dann, heute, Jahre nach Hong Kong, immer noch etwas zu sagen. Bestimmt hätten wir uns dann noch etwas zu sagen, wenn wir uns damals in Hong Kong begegnet wären. Ja, wären wir uns erstmals und überhaupt in Hong Kong begegnet, könnten wir immer, wenn uns die Sätze ausgehen, sagen, „Weißt du noch, damals in Hong Kong?!“ Und dann würden wir uns anlächeln und sagen „Ja!“.

Was macht denn dieser Schläger da in meiner Hand?

Er war nie in Hong Kong. Er ist dann mit 40 an Altersschwäche gestorben. Er war einfach zu schnell.

Leichter Nieselregen, Regenschirme, Mundschutz, Kassenhäuschen, er und ich. Welcher er? Morgens. Hong Kong. Unsere Blicke sind uns noch nicht begegnet. Fast hätte ich meinen Kopf in vermutlich seine Richtung gedreht, wäre da nicht dieser Affe auf mich zugekommen, um mich auf den Arm zu nehmen – und fortzutragen. Ja, es hat mich auch überrascht. Ein Affe geht selten nach graphischem Muster und so habe ich mich natürlich nicht gewehrt. Warum hätte ich das tun sollen? Jetzt, wo ich erstmals die Möglichkeit hatte, stellvertretend organisch zu gehen? Absolut organisch im Vergnügungspark eines Hong Kongs meiner Behauptung jenseits der oder einer Vergangenheit.

Ich finde das auch überhaupt gar nicht merkwürdig so nah mit einem Tier zu sein. Warum sollte das merkwürdig sein? Ich meine, da spricht doch nichts dagegen. Man kann doch auch mal eine Nähe zu einem Tier aufbauen.
Also, wenn man Tiere mag. Wenn man Tiere nicht mag, hat man ein Problem, dann wird es wirklich kompliziert, das kann man dann nicht so leicht zulassen, so eine tatsächliche Nähe mit einem Tier. Da kann man dann nicht so tun, als ob. Das geht nun wirklich nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie man das spielen können sollte, so eine Nähe, die man gar nicht wirklich, so überhaupt gar nicht wahrhaftig lebt und fühlt. Wie soll denn das gehen? Zu einem Affen!?

Greenfee, Handicap, ich.

Frisuren, die sich wiederholen. Der Ball rollt ins Loch. Rollt doch nicht ins Loch.

Dann abends. In Hong Kong. Keine Spiegel mehr, nur ich, auch kein Affe, nie gewesen. Mein Schritt, nun als Rhythmus ohne Gewohnheit, dann noch ein Schritt und eine akustische Begegnung. Die Blicke folgen noch nicht. Kassenhäuschen geschlossen, plötzlich Abendröte, ich drehe mich um und sehe den mit dessen Schritt, der mir folgt, damit wir uns begegnen und wir begegnen uns. Damals, aber nicht und immer noch nicht in Hong Kong!

Man will immer irgendwo ankommen.
Ja. Und dann will man immer wieder weg.

Ich bin im Kollektiv. Beim Abschlag. Ich bin im Kollektiv auch wenn ich alleine bin. Ich möchte im Kollektiv sein. Das Kollektiv ist auch immer da, es ist in mir. Ich bin dem Kollektiv auch dankbar, denn ich bin Teil von etwas, ich bin nie allein, es ist immer jemand oder etwas da, das mir sagt, wie ich zu sein habe. Das ist doch schön! Das Kollektiv gibt vor, es ist also ziemlich einfach, man fühlt sich zugehörig – aber trotzdem bleibt das Wir aus, das Ich sowieso. Warum?

Erste Gespräche, ein Kennenlernen. Aber warum nur so viel Aftershave? Dann, der Ausdruck wird zum Eindruck. Der war so unbelastet und plötzlich ist die Gewohnheit wieder da, ich denke an Zahnbürsten und verabschiede mich. Was kann ich dafür, dass er so gar nichts erlebt, nur weil er ein Gewissen hat?!

Wann hat denn wo alles begonnen?

3. Gott in mir, raus da!

Ich bin gegen den Zeitgeist. Generell und vor allem gegen den heutigen. Und trotz allem glaubt man an das Leben. Vielleicht ist dieser Glaube der Mensch?! Ist das die Frage nach Gott? Nach dem Gott in uns? Was macht der in mir? Wie kommt der hier rein? Da war doch eben noch das Kollektiv.

Wir sind dann doch nicht in die Geisterbahn gegangen. Es hätte zu sehr erinnert und am Ende erschrickt man sich ja doch nicht. Man kann den Schreck natürlich spielen, aber das wollten wir nicht, wir wollten ernst sein oder jenseits des Kollektivs sein, besonders sein, authentisch sein. Also haben wir den Vergnügungspark gar nicht erst betreten. Mein Hund und ich.

Wieso Hund?
Ich habe gar keinen Hund! Wo kommt denn jetzt der Hund her? Der geht da treu an meiner Seite, links, artig, beständig, Gewohnheit statt Rhythmus, auf Kniehöhe. Ja, er ist da. Da und braun. Selbstverständlich, ich könnte durchaus einen Hund haben, warum auch nicht, obgleich ich keine Haustiere mag. Natürlich nicht, ich finde Haustiere absolut furchtbar und überflüssig, geradezu abstoßend. Aber natürlich könnte ich theoretisch und trotzdem einen Hund haben. Warum auch nicht? Sofort wäre ich eine andere Persönlichkeit. Ich hatte immer schon einen Hund, da zu meiner linken Seite, da und braun. Es war nie anders. Ich werfe den Ball und er wedelt glücklich mit dem Schwanz. Und dann bin auch ich ganz glücklich.

So könnte es sein. Ich war glücklich. Mit ihm.

Mit wem?

Warum sind die Therapeuten immer so begeistert von meinem Schicksal? Sie hören leidenschaftlich zu, fragen leidenschaftlich nach, lächeln leidenschaftlich, formulieren im Geiste Anekdoten, die sie erzählen können, später, leidenschaftlich: „Meine Klientin heute…“

Bunker, Basecap, immer noch ich?

Mein Golfschläger ist veredelt, Marke „Luzifer“. Luzifer macht es mir sehr einfach, er will, dass ich immer wieder draufhaue. Sonst nichts. Er ist da sehr klar. Luzifer wirbt auch damit: „Der perfekte Schlag, immer und immer wieder!“
Luzifer?

Luzifer?

Luzifer sagt jetzt auch nichts mehr. Irgendwie sind hier alle stumm. Gott ist stumm, Luzifer ist stumm, die Golfer sind stumm. Nein, die anderen Golfer sind gar nicht da. Da muss man jetzt präzise sein. Vielleicht sind sie stumm, vielleicht aber auch nicht. Dabei wäre es so einfach, Ball auf das Ti und abschlagen!

Ich brauche ein Pseudonym. Fortan werde ich nur noch inkognito sein.

Ich am Anfang des Green und alle Löcher, alle Schläge stehen mir offen!

Er war Psychotherapeut. Natürlich haben wir uns dann nicht mehr wieder gesehen.

4. Der letzte Privatismus oder Anstand – was soll das?

Ich glaube, er hat auch Pornos geschaut. Ich habe ihn nie darauf angesprochen. Es hat mich auch gar nicht gestört. Fetische, Überzeichnungen – hässlich umgesetzt, reduziert, direkt, selten ästhetisch – zweckerfüllend. Usw. Irgendwie waren das nicht wir.

Warum wir nicht darüber gesprochen haben? Warum hätte ich ihn darauf ansprechen sollen? Was hatte das schon mit uns oder mit mir zu tun? Wir wollten ja gar nicht erst, dass es zu uns dazu gehört oder etwa dazu gehören könnte, genau. Man will ja irgendwo noch privat sein.

Wo oder wann bin ich denn bitte noch privat?

Und weil man schon so viel teilt, löst man das dann eben über einen Porno. Der Porno als einen letzten Privatismus. Das Pornoschauen als Inbegriff von Freiheit. Klar. Hat er denn keine Phantasie? Er, der Visionär, hatte keine Vorstellungskraft mehr?

Warum wir nicht zusammen Pornos geschaut haben? Ja, warum eigentlich nicht? Ich hätte da bestimmt lachen müssen. Ich hätte das einfach nicht ernst nehmen können. Und weil auf der einen Seite zu viel Pornos geschaut und auf der anderen zu wenig Pornos gelebt wurden, haben wir uns dann auch immer sehr gut streiten können. Worüber weiß man am Ende genauso wenig, wie wenn man sich gerade einen Porno angeschaut hat. Wo ist denn da die Handlung? Rein, raus, hin und her, ja, nein, komm, Ende.

Irgendwie habe ich jetzt gar keine Meinung mehr – zum Porno. Vielleicht ist es einfach nur normal. Aber wer will denn schon normal sein? Ich möchte auch niemanden lieben, der in seinem letzten privaten Moment so absolut normal ist. Normal ist so durchschnittlich. Dann ist er ja auch salonfähig! Er redet ja nicht darüber. Aus dem Anstand heraus, salonfähig zu sein. Anstand?! Was soll das? Wo ist mein Privatismus? Ich möchte jetzt sofort einen Privatismus ohne Anstand! Das mit dem Kollektiv geht jetzt irgendwie auch nicht mehr. Das muss sofort anders werden: Das Kollektiv bleibt jetzt aus!

Dabei gibt es doch viel schockierendere Dinge im Leben. Streng genommen: verhält es sich beim Golf nicht genauso wie bei einem Porno? Ich schieße ja auch ins Loch, ich schieße so lange, bis ich alle Löcher erwischt habe. Oh Gott, ich will diese Gedanken eigentlich gar nicht mehr haben.

Warum gibt es eigentlich keine Pornos für Affen? Wo ist der Tierschutz jetzt?
Wahrscheinlich hat er gar keine Pornos geschaut. Ich stelle mir vor, es könnte so gewesen sein. Woher aber kann ich wissen, ob es tatsächlich, jemals und wirklich so gewesen ist? Wahrscheinlich stimmt es gar nicht.
Nun kann ich mir allerdings nicht mehr vorstellen, es wäre nicht so gewesen. Ich kann diese eine Vorstellung jetzt nicht mehr mit einer anderen, auch wenn sie viel wahrscheinlicher sein mag, übermalen. Das geht jetzt nicht mehr, dafür ist es nun zu spät. Da wird es ganz unwesentlich, was eigentlich war oder nicht war. Ich habe mir die Vergangenheit vorgestellt und sie ist so gewesen, auch wenn sie nie so gewesen ist.

Warum eigentlich Golf? Warum nicht Croquet?

Wenn er von den Ecken im Leben sprach, hat er immer die Kreise gemeint. Ich fand das vollkommen normal. Normal…

Vielleicht hätte ich ihn mal streicheln sollen?

Auf dem Fairway; die Freiheit. Ein grüner Mond, Schirmmützen. Und dann, man spielt, dass man spielt.

5. Das Anders gelebt

6. Als hätte man doch

„Lass’ uns doch gestern treffen“ hat er morgen gesagt.
Damals.
Hä?

7. Es wird einmal: Abschlagen oder Zuschlagen?

Hier: der Schläger – Luzifer – der Ball und ich.
Absolut tatenlos.
Ich habe immer noch nicht abgeschlagen.

Aber der Schlag selbst, dieser eine Schlag, den ich einfach gerade nicht machen kann, dieser Schlag, ob er vollzogen wird oder nicht, er wird keine Veränderung herbeiführen! Er hat keinerlei Bedeutung! Das ist ja das Problem! Er wird nichts nach sich ziehen, nichts bedingen! Es wird nur ein Problem geben, wenn ich jetzt nicht abschlage. Wenn dieser eine Schlag nicht stattfindet. Will ich weiter dazugehören, muss ich jetzt sofort abschlagen. Aber, wenn das irgendwas bringen, verändern würde, wenn es also anders wäre, dann würde ich doch sofort zuschlagen! Selbstverständlich! Warum auch nicht?! Wie all die Jahre zuvor, draufhauen und Applaus empfangen. Aber warum das Ganze? Ich habe da keine Antwort mehr dafür.

Selbstverständlich wird der Schlag die Luft entzwei schneiden, Moleküle trennen, die sich daraufhin wieder vereinigen, ja, der Ball wird landen, eine Ameise zertrümmern, ja, auch das, diverse Grashalme umbiegen, um neben das Loch zu rollen und auf mich zu warten, bloß, damit ich ihm nochmals eins überbrate. Ja, genau. So geht es weiter, immer fort, abschlagen, zuschlagen, einknicken, aufbauen, zuschlagen und dann kehrt auch der Schein zurück. Aber das ist immer noch keine Antwort auf das Warum!

Ja, wahrscheinlich habe ich geliebt. Auch wenn er so kein bisschen Affen in sich hatte.

Ich bin keine Golferin, ich kann das einfach nicht mehr von mir behaupten! Die einzige Alternative: politischer Aktionismus, ich mit dem Golfschläger auf dem Podium! Selbstverständlich mit einem vergoldeten Golfschläger. Luzifer Deluxe. Das geht! Und alle werden meiner Kundgebung lauschen, so kann es einfach nicht mehr weiter gehen! Das sehen sie ein und sehen sie auch. Ich schwenke den Schläger bedrohlich und rhythmisch in der Höhe, weise mit ihm spannungsgeladen auf die Menge vor mir, welche daraufhin kurz und ängstlich vor einem möglichen Hub auf ihr Haupt, die Köpfe einziehen wird, um dann aber in einem jubelnden Chor auszubrechen, der nun wirklich einmal alle vereint und mit einbezieht und nun wünschen sich alle, sie hätten auch einen Golfschläger, weil hier gerade etwas Großartiges geschieht, Programme statt Phrasen, das merken sie, und dann werden sie losziehen und die Sportgeschäfte werden ein historisches Hoch verzeichnen, ja, so viele Golfschläger können gar nicht nachgeliefert, geschweige denn überhaupt noch produziert werden, hier geschieht gerade ein sportlich-globaler Zusammenschluss, die Golfige Revolution hat schon längst begonnen und ich verlasse das Podium, und die Masse mit Golfschlägern folgt mir und wir werden es schaffen, wir werden ins Parlament einziehen und dann wird es Strategien geben und Lösungsansätze werden tatsächlich Lösungen bringen, Menschen werden tatsächlich Hilfe erhalten und werden sich tatsächlich gleichberechtigt fühlen! Für einen kurzen Moment in der Menschheitsgeschichte, für ein Husten irgendwo in der Zeit werden wir es schaffen und man wird sich zurück erinnern, und glorreich daran erinnern und einfach immer noch nicht verstehen können, wie auch das, diese großartige, einmalige Zeit und moralische Hochkultur, wieder untergehen konnte, warum wird auch sie es nicht geschafft haben? Man wird es nicht begreifen können und immer wieder sagen, das war ganz großes Golf! Und irgendwann, wenn die Erde endlich explodiert ist, sich endlich selbst komplett vernichtet hat, dann wird es irgendwo eine Stimme geben, die lächelnd sagt, aber einmal hat der Mensch es geschafft. Einmal. Aber der Mensch ist eben nie dauerhaft zufrieden, der Mensch bringt immer neue Eventualitäten mit sich, der Mensch bleibt und ist eine Eventualität an sich, weil er ein Leben hat, weil er chronologisch denkt und chronologisch erfährt. Er kann einfach nicht das Ganze sehen! Aber warum nur, kann man nie alles vorhersehen? Die Eins sehen? Wir würden uns des Lebens berauben, weil das Leben immer ein Werden bleibt und Werden Fehler bedeutet. Ganz einfach. Es wird immer wieder jemand ausgeschlossen bleiben. Es wird niemals ein politisches Programm auf Dauer geben, niemals die Lösung die zu dem führt, aus dem wir einst ausgebrochen sind. Das Paradies bleibt der Widerspruch des Menschen an sich! Es ist nur die Hoffnung, der Urtraum, der uns hilft, irgendwie und überhaupt zu bestehen. Und dann schlage ich zu, jetzt aber wirklich! Die Golfige Revolution hatte ihren Glanz, ja, aber jetzt haue ich drauf! Wir kapieren es einfach nicht. Und ich haue so fest drauf, dass das Gold absplittert und in die Lüfte emporschießt, um sich mit den vielen kleinen Regentropfen zu vereinigen und schon wieder gehe ich in die Geschichte ein, denn einmal, einmal wird es einen Goldregen gegeben haben und er wird sich auf die Erde nieder senken und die Menschen werden an Sterntaler denken und hoffen oder meinetwegen auch beten, aber das hier sind keine Sterntaler, das hier sind Goldsplitter und sie werden euch in die Augen fallen, damit ihr erblinden möget und ich haue weiter drauf mit meinem Golfschläger und produziere immer mehr Goldregen, damit immer mehr Menschen erblinden und dann, wenn ihr alle blind seid, werdet ihr vielleicht begreifen, dass wir schon längst unseren Untergang zelebriert hatten! Er hatte schon stattgefunden! Wir sind mal wieder zu spät! Und auch die Polizisten, Miliz und Armee und Spezialeinheiten, meinetwegen auch das FBI, alle sind erblindet, ich kann noch nicht mal mehr als Terrorist des Schönen geahndet werden, da auch kein Spürhund mich aufspüren wird, weil ich geruchsneutral bin! Also schicke ich eine neue Schallplatte ins All und da wird dann endlich auch mal aufgeführt werden, dass sich einst an die Golfige Revolution, nicht nur das ganz große Golf anschloss, sondern dessen Untergang in der Goldenen Revolution kulminierte. Brillen werden erst mal nicht mehr benötigt, so ist das eben, manche Produkte sterben einfach aus. Das ist der Markt, den habt ihr gewollt. Aber der Mensch zitiert sich gerne selbst, also wird es auch die Retro-Zeit des Sehens oder Sehen-Wollens, vielleicht gar Erkennen-Wollens, geben und um die zu zelebrieren, werden nun die Optiker ein historisches Hoch verzeichnen, vom Markt dauerhaft – bedeutet also ca. zwei Generationen – ausgeschlossen: Golfartikel. Golfanlagen werden umgewandelt werden in öffentliche Parks ohne Mitgliedsbeitrag und ohne Fragen nach Zugehörigkeit, Herkunft oder Wohlstand. Also, haben wir doch etwas erreicht. Dann steht da aber wieder jemand anderes auf einem Podium und fordert Exklusivität und das Ganze beginnt von vorne. Die Politik als Amour Fou und gerade deshalb verfällt man ihr, verfällt ihr so unglaublich gerne. Das ist der Mensch. Da mache ich nicht mehr mit. Was ist denn aus Munch geworden?! Sein Schrei war der Heavy Metall seiner Zeit, aber ihn hat immer noch niemand gehört. Er wird bewundert für etwas, das für immer unerreichbar bleiben wird! Es wird kein Programm für die Unvorhersehbarkeit, kein Programm für die Unterdrückung von Wiederholbarkeit, kein Programm für die Natur des Menschen niemals und jemals, geben. Wann begreifen wir das endlich?
Ich kann unmöglich, jemals wieder in meinem Leben, kein einziges Mal mehr Golf spielen! Das ist jetzt vorbei, das geht jetzt einfach nicht mehr! Der Golf ist abgespielt. Vorbei. Die 15 Uhr wird es nicht mehr geben! Der Golf ist tot.

Wo ist mein Hund? Ach ja, den gab es gar nicht.

8. Nach dem Abschlag ohne Abschlag

Wie schnell geht die Reinkarnation? Wann werden wir uns wieder begegnen?
Und vor allem, als was?
Oder als wer?
Und wo überhaupt?

Vielleicht sollte ich mal in Urlaub, mal eine andere Kultur sehen, meinen Horizont erweitern, auf andere Gedanken kommen. Vielleicht nach Hong Kong, vielleicht ist da ja wirklich alles anders. Vielleicht ist der Mensch dort eine andere Spezies und dort werden andere Politiken entwickelt, die von Dauer sind, weil die Menschen dort vielleicht auch beständiger und keine individuellen Eventualitäten sind, die über Generationen hinweg immer wieder die gleichen Fehler machen müssen, vielleicht haben sie dort aus den Fehlern ihrer Vorfahren gelernt. Soweit ich weiß, wurde der Golf ja in Europa entwickelt und nicht in Asien!

Oder warum ausgerechnet nach Hong Kong?


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